Durchs Dröhnland: Wenn Mitesser trocknen
■ Die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Manchmal denke ich, nur Menschen, die ernsthaft traurig sein können, können auch wahrhaft glücklich sein. Ira Kaplan und Georgia Hubley, der feste Kern von Yo La Tengo, sind schon mindestens so lange ein Paar, wie die gemeinsame Band besteht. Und doch sind ihre Songs fast immer traurig, als wollten sie ausleben, was in der Beziehung nur anstrengend wäre. Daß sie dabei als eine der festesten Größen des Independent-Rocks der US-Ostküste auch noch immer wieder wunderschöne Platten machen, führt dazu, daß jede Veröffentlichung seit nun fast zehn Jahren von allen Seiten zur jeweils besten erklärt wird. Und dabei kehrt die regelmäßig zum Trio erweiterte Band aus Hoboken, New Jersey, immer wieder, so auch auf der neuesten namens „Painful“, zu ihren Ausgangspunkten zurück. Und die heißen Folk und Velvet Underground. Von ersterem nehmen sie die träge, oft auch halbakustisch daherschrammelnden Songs, von zweiteren die regelmäßige Auflösung der Struktur in atonalem Lärmgewichse. Exzesse, die vor allem von der Diskrepanz zwischen Hubleys stoischem Schlagzeug und Kaplans penetrant kreischender Gitarre leben. Doch nie verlieren sie die souverän swingende Mitte, auch wenn die Töne noch so fies zirpen. Eine Musik, die reduziert auf wenige Elemente, den Gefühlen freien Lauf läßt. Und auch den Projektionsmöglichkeiten der Konsumenten. Core sprach von „feinfühlig und sensibel“, ME/ Sounds entdeckte „Nachtmusiken“ und die Junge Welt glaubte die Band auf einem „süßen Sadomaso-Trip“. Eine unverschämt passende Ergänzung dazu sind 18th Dye. Das Berliner Trio spielt, als wären Sonic Youth plötzlich ganz traurig geworden, aber hätten vergessen, die Gitarren umzustimmen und den Verzerrer runterzudrehen. Dabei bildet sich eher als bei den Stranglers, die das einmal so nannten, eine aurale Skulptur, in der Songstrukturen zwar noch zu erkennen sind, aber nahezu überflüssig werden. Schönster Gitarrenlärm der Stadt.
Am 24.12. um 22 Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg
Wer in Nachwendezeiten Berliner Clubs besuchte, um dort den extremeren Spielarten des Metal zu lauschen, hörte im Publikum oft mehr Sächsisch und Thüringisch als Hochdeutsch. Es hat ein wenig gedauert, aber der passiven Begeisterung folgten dann doch noch die heimischen Kapellen. Irgendwo zwischen Speed und Thrash, Death und Doom lag ganz sicher auch Leipzig, Stadtteil Connewitz. Daß Think About Mutation nahezu aus dem Stand in die Spitze des deutschen Metalhandwerks aufstiegen, lag wohl auch daran, daß alle fünf schon vorher ausgiebig Erfahrung gesammelt haben. Und so nutzen sie die Jahre und die Abgeklärtheit des Langzeitmusikanten zur Erweiterung des hektisch fichtelndes Schemas mit Industrial- Sounds. Da übernimmt schon mal die Beatbox den treibenden Part der Gitarre, ganz abgesehen von den üblichen Maschinen- und Müll-Samples. Das bleibt dann allerdings schon die einzige Verbindung zu Depeche Mode, bei deren letzter Tour sie das Vorprogramm bestritten. Im Gegensatz zu deren süßlicher Subversion packen Think About Mutation aus, was so los ist in Connewitz. Und das ist dreckig, laut und auch sonst nicht sehr nett. Da trocknen selbst dem „Brett“-gestählten Tekkno-Freak die Mitesser aus. Eher traditionell da die Berliner Orgasm Death Gimmick, die sich nicht recht entscheiden können zwischen müde stampfendem Schweinemetal und der Jetztzeit des Genres. Die klingt in manchen Breaks bei wenigen Rhythmusverschärfungen und Rap-Anklängen zwar an, aber unangenehmerweise fühlte ich mich hin und wieder sogar an UFO erinnert. Kann aber auch mein Fehler sein. Bei einem solchen DDR-Heimatabend darf natürlich auch die angemessene Vergangenheitsbewältigung nicht fehlen. So zum Beispiel in der Gestalt von Freygang, die es so lange schon gibt, daß die meisten, die ich gefragt habe, sich nicht mehr erinnern konnten oder wollten, wie lange. Ihr Bluesrock ist noch immer genauso dudelig, André Greiner müht sich immer noch, so zu singen wie Rio Reiser vor 15 Jahren, aber lustig ist es. Nur die Texte holpern jetzt natürlich sehr wendebetroffen. Mit dabei beim zweiten Tag von „Schweinachten im Kesselhaus“ sind noch X.I.D. und Opatov.
Am 24.12. ab 21 Uhr im Kesselhaus der Kulturbrauerei, Knaack-/ Ecke Dimitroffstraße, Prenzlauer Berg
Den schönsten Tip für all die einsamen Herzen, denen am Heiligabend nicht das Vergnügen ins Haus steht, freundlich zu verhaßten Familienmitgliedern sein zu müssen, hysterische Kinder ins Bett zu kriegen oder Berge von Geschenkpapier in den Mülleimer zu stopfen, natürlich zum Schluß. Also all denen, die ganz allein sind und doch nichts mit der vielen freien Zeit, den menschenleeren Straßen und dem niveaulosen Fernsehprogramm anfangen können, sei Element of Crime ans Herz gelegt. Seit die Berliner nicht nur vollends der deutschen Sprache vertrauen, sondern auch noch mit jeder Faser der Melancholie frönen, sind sie die verträglichste Möglichkeit, eigenen Leidensdruck von fremden Menschen abarbeiten zu lassen und sich danach trotzdem beschwingt zu fühlen. Spätestens wenn die Trompete ausgepackt und der Zirkus-Rummel eingepackt wird, rollen die erlösenden Tränchen.
Am 24.12. um 23 Uhr in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte Thomas Winkler
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