: Die Endlosschleife
Kleiner Streifzug durch vierzig Jahre Weihnachtsprogramm ■ Von Klaudia Brunst
Volksgesundung Die Jahre 1953–1962
„Sah eben Fernsehprogramm. Bedaure, daß Technik uns kein Mittel gibt, darauf zu schießen“, telegraphiert Bundespräsident Hermann Ehlers 1953 an den Generaldirektor des NWDR, Adolf Grimme. Seit einem Jahr, dem ersten Weihnachtsfeiertag 1952, sendet die ARD nun schon ein regelmäßiges Fernsehprogramm, täglich von 20 Uhr bis maximal 22.30 Uhr. Die Verantwortlichen beschwören mit der neuen Technik die „Gesundung der deutschen Volksseele“ (Adolf Grimme), Theodor W. Adorno befürchtet dagegen bei intensiver Fernsehrezeption den Sprachverlust der Zuschauer. Noch ist das eine wie das andere Zukunft: Ein Fernsehempfänger kostet zwischen 1.150 DM und 2.100 DM. Nur 4.000 Geräte sind bisher verkauft worden, vor allem an reiche Wirtsleute. Aber wer geht schon in der Heiligen Nacht in eine Kneipe?
Das Programm ist konkurrenzlos und regierungstreu: Am 24.12.1953 überträgt der NWDR eine Weihnachtsbescherung. Bundeskanzler Adenauer, in diesem Sommer 77jährig wiedergewählt, beschenkt von 13.30 Uhr bis 14 Uhr ein Bonner Waisenhaus. Von 20 Uhr bis 21.30 Uhr bietet die Flimmertruhe „Stille Nacht ... Eine Fernsehsendung zum Heiligen Abend unter Mitwirkung der Morgensternbühne Grömitz“. Dann wird es wieder still. Das Programm ist vorerst beendet.
Auch in den nächsten Fernsehjahren bleibt vor allem das Flimmern ein serieller Programmpunkt. Am Morgen der Heiligen Nacht beschert Adenauer arme Waisenkinder, und erst wieder ab 20 Uhr wird es besinnlich: 1954 stehen „Weihnachtliche Bräuche aus unserem Lande“ auf dem Programm, ein Jahr später, soeben wurde der 10.000ste Fernsehapparat verkauft, zeigt die Truhe „Christnacht im Schwarzwälder Haus“.
1956 strahlt die ARD im Tagesdurchschnitt schon 245 Minuten Programm aus. Vor der alljährlichen Waisenhausbescherung läuft jetzt „Weihnachten in Bonn“, eine Filmreportage über die Vorbereitungen zum Fest. Um 21 Uhr produziert der Hessische Rundfunk den ersten Fernsehskandal der Deutschen Programmgeschichte: Das Fernsehspiel „Das gnadenbringende Strafgericht“ soll die religiösen Gefühle der Zuschauer verletzt haben. Volksgesundung? 1957 überschreiten erstmals die Fernsehanmeldungen die der Radioteilnehmer. Der millionste Fernseher wird verkauft. Ein Dauerbrenner des Weihnachtsprogramms etabliert sich: „Reinhard Müller liest „Die heilige Nacht“ von Ludwig Thoma. Die UdSSR hat kurz zuvor ihren ersten Sputnik ins All geschossen, und seit Anfang des Jahres gibt es in Deutschland Radarkontrollen.
1958 entdeckt das Fernsehen endlich die Oper zu Weihnachten. „Die verkaufte Braut“ wird zum Publikumserfolg. Und so singt im nächsten Jahr Hermann Prey den „Barbier von Sevilla“, und zur Jahrzehntenwende beschert die ARD ihren Zuschauern „La Triviata“. Die kulturelle Volksgesundung kommt an: „Von der Opernaufführung waren wir begeistert“, schreibt Familie F. aus Emden an die Radio-Revue. „Hier in der Kleinstadt haben wir kein Opernhaus. Zugunsten klassischer Musik würden wir auf solchen Unsinn wie „Es gibt immer drei Möglichkeiten“ gern verzichten“. 1961 ist das Jahr der Wende: Seit dem 1. Juni gibt es nun auch ein zweites Programm. Es will auf Ansagerinnen ganz verzichten und neue Sendungen für junge Zuschauer entwickeln. Am Heiligen Abend zeigt der neue Kanal aber ein eher klassisches Fernsehprogramm: eine Tschaikowski-Oper. Die ARD kontert mit dem „Glashüttenmärchen“ von Gerhart Hauptmann. Die Konkurrenz bleibt also vorerst vorbildlich bildungsbürgerlich.
Volksunterhaltung Die Jahre 1963–1972
Mit dem Sendebeginn des ZDF sind auch die Einschaltquoten erfunden worden. Neun Millionen Bundesbürger sind nun Fernsehteilnehmer, das sind 41 Prozent aller Haushalte. Der Bundeskanzler heißt jetzt Ludwig Erhard, er meidet Waisenhäuser. Rolf Hochhuth zeigt an der Berliner Volksbühne seinen „Stellvertreter“ und löst damit in der jungen Republik eine Debatte über die katholische Kirche aus. Die Fernsehzuschauer debattieren über ein anderes Ärgernis: Es gibt zu viele Wiederholungen. „Die ,Frau des Bäckers‘ hatten wir erst vor zehn Monaten gesehen“, beschwert sich Rainer G. aus Bremen bei der HörZu. „Deshalb schalteten wir um nach Mainz. Aber auch das ZDF brachte zur selben Zeit eine Sendung, die wir schon einmal im ersten Programm gesehen hatten!“
Die ARD wird innovativ, sie erfindet den Mehrteiler zu Weihnachten. „Der Graf von Monte Christo“ in drei Folgen konkurriert am 25.12.1963 mit der „Don Carlos-Bearbeitung“ von Oliver Storz. Es lebe der Wettbewerb.
Im Advent 1964 geht dann das ZDF in die Unterhaltungsoffensive. Es startet die Eurovisionssendung „Der Goldene Schuß“ mit Lou van Burg. Das Projekt ist umstritten. „Wie kann es eine deutsche Fernsehgesellschaft wagen, dem Publikum eine derart niveaulose Sendung vorzusetzen?“ fragt sich Oliver J. aus Erkelenz. Ein Jahr später hat die Gewohnheit endgültig über die Volksgesundung gesiegt: Unter der HörZu- Rubrik „Wünsche zum Jahr 1965“ bittet Manfred M. aus Köln, den „Goldenen Schuß“ auf den Samstag zu verschieben. „Donnerstags muß ich immer Kegel aufsetzen.“ Pläne, das ZDF zu privatisieren, waren Anfang des Monats endgültig verworfen worden. Die Konzentration der meinungsbildenden Medien in einer Hand müsse verhindert werden, heißt es. Am ersten Weihnachtstag annonciert die ARD „Don Camillo und Peppone“ und das ZDF die Ado-Gardine als Mary Poppins: Marianne Koch führt die Deutschen durch „Disneys Wunderland“.
1966 reüssiert endlich auch das Zweite mit einer Weihnachtsserie: „Die Schatzinsel“ mit Michael Ande als Jim Hawkins. Schon ein Jahr später wird der Mehrteiler im Weihnachtsprogramm wiederholt. Weil man jetzt bunt senden kann. Auch „Die Hochzeit des Figaro“ der ARD ist nun farbfähig – und natürlich „Sissi“, die sich das ZDF auf Jahre gesichert hat.
1968 hat sich die Republik verändert. Es gibt den Überziehungskredit für alle und Oswalt Kolles Aufklärungsfilm „Das Wunder der Liebe“. Der Papst hat den Katholiken die Pille verboten, und die Studenten revoltieren. An Weihnachten erfährt man davon im Fernsehen wenig. In der ARD- Nachlese zum Jahr 1968 werden Ausschnitte aus den beliebtesten und interessantesten Fernsehsendungen des Jahres gezeigt. Also doch Sprachverlust?
Drei Weihnachten weiter hat Prof. Grzimek Sprachprobleme: „Die Pygmäenmädchen neigen dazu, einen Fettsteiß anzusetzen, wie manche Frauen bei uns auch“, hatte er in seiner Sendung erklärt. Das bleibt 1971 nicht mehr unwidersprochen. Derweil gibt sich im ZDF, wie schon in den beiden Jahren zuvor, Anneliese Rothenberger die Ehre. Raimund Harmsdorf wird mittels einer gekochten Kartoffel zum Vorbild der männlichen Jugend. Er ist der Seewolf und Jack London eine sichere Bank für die ZDF-Spielfilm-Redaktion.
Volksbelehrung Die Jahre 1974–1983
„Feiern wir Weihnachten richtig?“ fragt sich die ARD am Heiligen Abend 1974. Kanzler Brandt gibt Antworten im „Brennpunkt“. „Karge Kost der Diskussion“, empört sich die HörZu, „ausgerechnet an Weihnachten Analyse und Politik“. Im darauffolgenden Jahr wird es noch bunter: Klaus Wildenhahn und Gisela Tuchtenhagen haben den „Mann mit der Nelke“, Dietmar Schönherr, portraitert. Die Reihe „Fernsehauge“ in den Dritten Programmen wurde eigens konzipiert, „damit dem Zuschauer mal bewußt wird, was er sieht“, so der Programmverantwortliche Horst Königstein. Hansjürgen Rosenbauer moderiert „Je später der Abend“ am 25. 12. 1975 zum letzten Mal. Das ZDF zeigt am zweiten Weihnachtstag „Emil und die Detektive“ und „Tschitti-Tschitti- Bäng-Bäng“ hintereinander. Ein Fest für Kinder.
„Der Winter, der ein Sommer war“ ist der Renner zu Weihnachten 1977. „Liebe, Haß und Pulverdampf“ verkündet das Erste zum Ende des heißen Herbstes. Sechs Wochen lang hatte die Nation nach Hanns-Martin Schleyer gesucht. In Stammheim sind Tote zu beklagen. Das ZDF wiederholt am zweiten Weihnachtstag „Tschitti- Tschitti-Bäng-Bäng“ und den „Seewolf“. In der ARD liest Sarah Kirsch Wintergedichte. Wolf Biermann ist seit einem Jahr ausgebürgert.
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Fortsetzung
Es gibt jetzt das erste Retortenbaby und ein Friedenssignal in Camp David. Die ARD zeigt zur Heiligen Nacht „Die Kinder von Bethlehem – Christen helfen arabischen Kindern“ und einen Tag später „Verlobung unterm Weihnachtsbaum“. Junge Leute und alte Bräuche – geht das 1978 noch zusammen?
Ein letztes Aufbäumen im Sinne der Hochkultur mißlingt der ARD 1979. Der Zwölfteiler „Buddenbrooks“ findet im Advent keine ungeteilte Zustimmung. „Ein allzu edler Stoff“, meint HörZu-Kritiker Hanns Bornemann. Tchibos beste Bohne kostet derzeit 10,75 DM. Dazu kann man ein Feuerzeug kaufen. Das ist neu.
Im Advent 1980 heißt der Quotenkiller „Berlin Alexanderplatz“. Nur 17 Prozent Einschaltquote für die Döblin-Verfilmung von Rainer Werner Fassbinder. Die Nation fand's allgemein zu dunkel. Trotzdem ist eine Wiederholung bereits geplant. Eine Wiederholung zeigt auch das ZDF im darauffolgenden Jahr: Aber „Sissi“ ist eben nicht Fassbinder. Patrick Bach hat sein Festdebüt als „Silas“. Er ist aus den Weihnachtsserien des ZDF künftig nicht mehr wegzudenken. Schon im nächsten Jahr kommt er als „Jack Holborn“ wieder in die guten Stuben. Die ARD will ihre Zuschauer künftig „zur Entspannung zwingen“, so die Programmverantwortlichen: Am 25. 12. 1981 startet die Reihe „100 Meisterwerke“ mit Breughels „Heimkehr der Jäger“.
Drei Kriege und ein bißchen Frieden von Nicole liegen Weihnachten 1982 hinter den Fernsehzuschauern. In den USA hat „Dynasty“ die Erfolgsserie „Dallas“ erstmals überrundet. Die Programmzeitschriften haben inzwischen einen Video-Service eingerichtet, der Verkauf von Abspielgeräten boomt. Ansonsten ist eher Rezession: 2 Millionen Arbeitslose meldet die Bundesanstalt in Nürnberg. Einer von ihnen ist der Wendeverlierer Helmut Schmidt. Zu Weihnachten 1983 gibt er im ZDF ein Klavierkonzert. Nicht nur für rheinische Waisenkinder.
Volksbelustigung Die Jahre 1984–1992
Die öffentlich-rechtlichen Jahre sind nun unwiederbringlich vorüber. Seit dem 1. 1. 1984 gibt es eine neue, kommerzielle Konkurrenz. RTL plus ist aus technischen Gründen noch ein Minderheitenprogramm. Allerdings eines mit Aussichten. „Ich glaube, daß im privaten Fernsehen große Zukunft liegt“, schreibt der TV-Professor Heinz Haber in der HörZu, „zumal ich aus 20jähriger Arbeit in den öffentlich-rechtlichen Anstalten die Zwänge kenne, die dort herrschen.“ Viele seiner Kollegen denken ähnlich. Es gibt die ersten Abwanderungen. ARD und ZDF geraten programmatisch in die Unterhaltungsdevensive. Wieder wird der Spielfilmfundus durchstöbert: Weil's schon die letzten Jahre so schön war, zeigt die ARD noch einmal den „Immenhof“, das ZDF wiederholt nach 1967, 1970 und 1981 schon wieder „Sissi“. Richtig kommerziell wird es am zweiten Weihnachtsfeiertag. Die ungekürzte Originalfassung von „Vom Winde verweht“ dauert von 19.30 Uhr bis 23.10 Uhr. Die Majdanek- Dokumentation „Der Prozeß“ von Eberhard Fechner wird in die Dritten verbannt. Zu schwere Kost für einen öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsadvent.
Ein Jahr später sendet auch Sat.1: Zu Heilig Abend liest Gustl Bayerhammer die Weihnachtsgeschichte von Ludwig Thoma. So hatte schon die ARD angefangen. Bei RTL läuten die Abendglocken für Ivan Rebroff. Auch so ein Rübergemachter. Die ARD drückt noch einmal das Niveau: „Royalty“ zeigt Intimes aus dem englischen Königshaus. Schon im nächsten Jahr wird mit Charles und Diana nachgelegt: „Alltag bei den Windsors“. Noch geben sich die Privaten scheinheilig besinnlich. Bei RTL „rieselt leise der Schnee“ mit volkstümlichen Weihnachtsliedern, und Sat.1 zeigt „Vorweihnachtliches aus Gran Canaria“. Erst zwei Jahre später zeigen die Privaten ihr wahres Gesicht, RTL präsentiert am Heiligen Abend David Hasselhofs „Knight-Rider“. Totale Besinnlichkeitsverweigerung! In der „Lindenstraße“ inszeniert die ARD öffentlich-rechtliche „Berscherung“. Gabi trauert noch um Benno, der sich bei einer Operation HIV-infiziert hatte.
Ein Jahr später geht es auch Udo Lindenberg schlecht: Er hatte seinen ersten Herzinfakt, und die Mauer ist gefallen. Die Privaten powern nun gemeinsam gegen die öffentlich-rechtliche Rührseeligkeit: „Drei Supermänner“ räumen bei RTL auf, Sat.1 zeigt „Hollywood intim und diskret“, und Pro 7 reaktiviert die Krimiserie „Straßen von San Francisco“. Der „Kleine Lord“ ist in diesem Jahr nur auf Eins Plus zu empfangen, das ZDF wuchert wieder mit ihrem besten Pfund: Patrick Bach mimt einen Theologiestudenten in dem Sechsteiler „Laura und Luis“.
Aber schon im kommenden Jahr haben die Privaten keine Lust mehr auf ihr Pubertätspogo- Image: RTL gibt sich 1990 geschichtsbelehrend und zeigt „Quo Vadis“. Der Unterhaltungszug der Öffentlich-Rechtlichen ist aber mittlerweile endgültig abgefahren. Das ZDF hat „Anna – der Film“ angekauft. Best Boy: Patrick Bach. Die ARD will ihr Publikum mit Asterix dem Gallier, verjüngen. Die Republik ist jetzt vereinigt, im Advent gewinnt der Wendekanzler die ersten gesamtdeutschen Wahlen. „Sissi“ läuft nun auf SAT.1, zum kommenden Fest wird man „Winnetou“ wiederholen. Vereinigte Fernsehlandschaft?
1992 ist die Welt dann endgültig mit sich im reinen. Südafrika hat die Apartheid abgeschafft, und die Regierungskoalition einigte sich in der Asylfrage. In Mölln sterben drei türkische Bundesbürger, der Advent beschert uns unzählige Lichterketten. Der „Kleine Lord“ hat wieder zur ARD gewechselt, und beim ZDF kommt das „Traumschiff“ zurück. Des Broadways liebstes Kind, „Dr. Doolittle“, läuft zur Abwechslung bei Sat.1. Danach soll es „Flammendes Inferno“ geben. Aus aktuellem Anlaß zeigen ab jetzt alle Kanäle nur noch Unterhaltung bis zur Besinnungslosigkeit.
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