„Überzogene Maßnahmen führen zum Gegenteil“

■ Bremens oberster Verkehrsplaner über die autoarme Innenstadt – und warum sie so schwer zu verwirklichen ist

taz: Eigentlich gibt es in Bremen ideale Voraussetzungen für die Durchsetzung einer autoarmen Innenstadt. Mit Ihnen ist seit eineinhalb Jahren Bremens oberster Verkehrsplaner ein ausgewiesener Autokritiker, und seit zwei Jahren steht in der geltenden Koalitionsvereinbarung die Absicht, an verkaufsoffenen Samstagen das Konzept einer autofreien Innenstadt auszuprobieren. Passiert ist trotzdem bisher noch nichts. Woran liegt das?

Gerd-Axel Ahrens: In zwei Jahren zu bauen, ist praktisch unmöglich. Sie kennen ja die langen Planungsvorläufe. Wenn ich heute hier in der Behörde mit den Kollegen eine Idee bespreche, dann heißt das noch lange nicht, daß in zwei Jahren mit dem Bau begonnen werden könnte.

Ich bin im übrigen auch kein Autofeind. Ich bin hier in Bremen angetreten, um integrative Verkehrsplanung zu machen. Und das bedeutet, die Planung nicht nur aus der Windschutzscheiben-Perspektive zu betreiben, sondern das Gesamtverkehrssystem möglichst günstig zu gestalten.

Aber richtig ist doch, daß Sie versuchen wollen, einen großen Teil des Autoverkehrs aus der Innenstadt herauszudrängen.

Ja, aber es gibt auch eine ganze Reihe notwendiger Innenstadt-Verkehre – Lieferverkehre, Polizei, Krankenwagen usw. Wir sind ja heute in der Situation, daß durch die Verkehrszunahme der letzten Jahre – der große Sprung war noch einmal von 1985 bis 1990 – die Autos sich zunehmend selber blockieren. Deshalb stehen wir heute vor allem vor der Aufgabe, die notwendigen Verkehre wieder flüssiger zu machen. Das heißt, der ÖPNV, das Fahrradfahren und auch das Zufußgehen müssen wieder schmackhaft gemacht werden.

Diese Erkenntnis ist bundesweit ja inzwischen ziemlich verbreitet. Aber es passiert so herzlich wenig.

Es ist schon etwas passiert. Die Abschraffierungen der Straßenbahn- und Busstrecken hat dazu beigetragen, daß wir in der Bremer Innenstadt – von Verkehrszählungen gestützt – heute im Vergleich zu 1989 15 bis 20 Prozent weniger Autoverkehr haben.

„Verschoben ist nicht abgeblasen“

Wir sind dann darangegangen, unseren Modellversuch „Autoarme Innenstadt“ vorzubereiten. Dabei sind wir schnell zu dem Ergebnis gekommen, daß wir nach dem Muster von Aachen und Lübeck mit einem völligen Schließen der Innenstadt an verkaufsoffenen Samstagen bei gleichzeitigem Offenhalten der Parkhäuser kaum eine Straße als Fußgängerzone dazugewinnen würden. Die klassische Bremer Innenstadt ist ja schon weitgehend Fußgängerzone. Das, was uns in der Innenstadt an Verkehren stört, sind Durchgangsverkehre, Berufspendler usw.

Genau dafür sollte ja der Bremer Modellversuch dienen. Seit zwei Jahren steht er in der Koalitionsvereinbarung, bloß stattgefunden hat noch nichts.

Das liegt zum einen daran, daß wir uns zunächst überlegt haben, daß ein Ein-Tages-Versuch keinen Sinn hat, da der Mißerfolg absehbar gewesen wäre. Dann haben wir uns nach einem geeigneten Gutachter für ein umfassenderes Konzept umgesehen – und in Professor Schnüll aus Hannover auch gefunden. Aber ein so exponiertes Büro gewinnt man nicht von heute auf morgen. Er konnte die Arbeiten erst im Januar 93 aufnehmen und war dann im Mai soweit, daß ein Innenstadtkonzept geboren wurde. Und das ist bereits ein mit vielen Beteiligten abgestimmtes Kompromißmodell...

...das trotzdem jetzt wieder abgeblasen worden ist.

Abgeblasen noch nicht, verschoben. Es wird noch beraten.

Sie sagen das so gelassen. Sie sind doch eigentlich angetreten, um wirklich etwas zu verändern...

Das ist das Schicksal eines jeden Verwaltungsbeamten, daß er eben nicht Entscheider, sondern nur Entscheidungsvorbereiter ist. Da hilft nur Gelassenheit.

Geld ist in diesem Zusammenhang ausnahmsweise einmal nicht der Grund dafür, daß so wenig passiert?

Nein, jetzt müssen erstmal der Konsens und die politische Entscheidung her. Aber wenn es dann tatsächlich zur Realisierung kommt, ist die Finanzierung schon ein ganz wesentlicher Punkt.

Wie wollen sie Autofahrer zum Umsteigen auf den ÖPNV bringen, wenn man noch immer mit dem Auto schneller vorwärts kommt?

Es ist schon richtig, daß das Autofahren in der Stadt noch immer doppelt so schnell ist wie das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Und daran wird man auch mit dem bestausgebauten ÖPNV-System, das wir uns leisten können, grundsätzlich nichts ändern können. Den erforderlichen Zuwachs der ÖPNV-Fahrgäste kriegen wir deshalb nur hin, wenn wir flankierend zu seinen Verbesserungen die Zahl der Autoparkplätze in der Innenstadt so weit beschränken, daß die Berufspendler gar nicht mehr die Möglichkeit haben, ihr Auto dort abzustellen. Und dann bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als mit der Straßenbahn zu fahren. Wir nennen das ein „Push-and-pull“-Verfahren.

Aber sperren wollen Sie die Zufahrten zur Innenstadt nicht?

Nein, wir werden die Stellplätze so weit reduzieren, daß für die meisten nur noch das Parkhaus zur Verfügung steht. Und dort müßte ein Berufspendler dann 250, 300 oder noch mehr Mark im Monat bezahlen, um sein Auto abzustellen. Und dann überlegt man sich schon, ob man nicht lieber für 50 Mark mit der „Bremer Karte“ in die Innenstadt fährt. Aber wer sich das leisten will und kann, der kann dann sein Auto auch ins Parkhaus stellen.

„Da hilft nur Probieren und Überzeugen“

Was uns heute dabei noch Probleme macht, ist das Ausweichen in die innenstadtnahen Wohngebiete. Das können wir aus Personalmangel gar nicht verhindern. Das ist doch eine der zentralen Fragen: Wer soll kontrollieren, ob jemand zu Recht oder zu Unrecht mit dem Auto in die Innenstadt kommt?

Die Überwachung des ruhenden Verkehrs muß intensiviert werden. Erste Voraussetzung dafür sind die Ausstattung der Überwacher mit mobilen Datenerfassungsgeräten und eine EDV-Ausstattung in der Bußgeldstelle, damit die überhaupt in der Lage ist, die hohen Fallzahlen zu erreichen. In Düsseldorf, mit einer vergleichbar großen Innenstadt, haben 160 Überwacher dieses Problem ganz gut im Griff. In Bremen gibt es bisher mal gerade 20, 30 Leute.

Von radikalen Schritten wie der völligen Schließung der Innenstadt für den Autoverkehr halten Sie nichts?

Nein, Maßnahmen, die durch Überziehen zum Scheitern verurteilt sind, wären politisch gar nicht durchzuhalten. Ich glaube, nur Schritt-für-Schritt-Strategien sind zielführend. Fast jede Einrichtung einer Fußgängerzone wurde von den Kaufleuten vehement bekämpft. Das ist selbst heute noch so. Aber würde man jetzt versuchen, Fußgängerzonen für den Autoverkehr wieder zu öffnen, dann wäre dort der Widerstand der Kaufleute sicher genauso groß. Da hilft nur Probieren und Überzeugen. 40-Prozent-Maßnahmen sind besser, als wenn ich mit wehender Fahne für eine 100-Prozent-Maßnahme kämpfe und dann politisch letztlich untergehe und nicht mal einen kleinen Schritt in die richtige Richtung gehe.

Fragen: Dirk Asendorpf