■ Morgen wird die kubanische Revolution 35 Jahre alt
: Die Stunde der Wahrheit

Seit über drei Jahrzehnten ist das autoritäre Regime in Havanna den unerbittlichen nordamerikanischen Sanktionen unterworfen. Zweifellos hat das Embargo Kuba geschadet. Aber es hat die Regierung Fidel Castros aus drei einfachen Gründen nicht stürzen können. Erstens gilt immer noch, daß die kubanische Revolution nicht aufgezwungen wurde, wie der Kommunismus in Mittelosteuropa.

Auch wenn viele sie als verraten ansehen, war sie eine nationale, eigenständige Bewegung. Und niemand kann die revolutionären Erfolge bei Erziehung und Gesundheit leugnen.

Zweitens verbündete sich Castro mit dem sowjetischen Block, um sein Regime zu einem Teil des Kalten Krieges und zum Objekt von strategischen Überlegungen und nuklearem Wahn zu machen.

Die UdSSR belohnte Kuba mit jährlichen Subventionen, hinter denen das katastrophale Funktionieren der kubanischen Wirtschaft verborgen werden konnte – wenn auch schlecht. Drittens erlaubte es die andauernde Feindseligkeit Washingtons Castro, sich als Verteidiger der Würde, der Souveränität und sogar des Überlebens des Landes darzustellen. David gegen Goliath.

Heute hat sich die sowjetische Unterstützung verflüchtigt, und nach dem Ende des Kalten Krieges erscheint nun die kubanische Wirtschaft nackt in einem grellen Licht wie ein nicht zu entschuldigendes Scheitern. Irrationalerweise kopierte Kuba die schlechtesten Seiten der zentralen Planwirtschaften. Am Anfang prangerte es die Monokultur an und träumte von der industriellen Diversifizierung; am Ende steht Kuba wieder so da, wie es begann: als Zuckerrepublik.

Aber unter dem gleichen grellen Licht dauert wie ein gescheiterter Anachronismus das nordamerikanische Embargo fort, erneuert und verschärft durch das sogenannte „Torricelli-Gesetz“. Dank dieser Maßnahmen macht Castro weiter die letzte, aber wichtigste seiner Legitimationen geltend: Er ist es, der Kuba gegen die fortgesetzte und wachsende Feindseligkeit der USA verteidigt. Die Wirtschaftssanktionen erfüllen keine andere Aufgabe mehr, als Castro zu legitimieren. Mit einem Feind wie den USA, sagt der Harvard- Professor Jorge I. Dominguez, braucht Kuba keine Freunde.

Das Embargo gegen Kuba ist ein pyrrhischer Anachronismus. Es besiegt sich selbst, weil es die Stunde der Wahrheit auf Kuba hinauszögert: die Abrechnung, die zwischen dem Castro-Regime und dem kubanischen Volk erfolgen muß. Solch eine Abrechnung kann gar nicht unter dem Druck von außen oder der Androhung von Sanktionen stattfinden.

Der herausragendste Kämpfer für Menschenrechte auf der Insel, Elizardo Sánchez Santa Cruz, hebt hervor, daß „die kubanische Regierung auf einen langen und zähen Widerstand vorbereitet ist, bei dem sie die menschlichen Kosten nicht berücksichtigen würde...“.

Wir in der hispanischen Welt beschwören häufig die Belagerung von Numantia, der iberischen Hauptstadt, durch die römischen Truppen von Scipio im Jahre 133 vor Christus. Die Belagerung endete erst, als alle Bewohner der Stadt – Männer, Frauen und Kinder – durch Hunger oder die eigene Hand umgekommen waren. Niemand wünscht sich ein kubanisches Numantia, wie sehr dies auch die Phantasie Fidel Castros anregen mag. Niemand – außer den ultrarechten Exilierten in Miami oder der ultralinken Nomenklatura in Havanna. Beide glauben, aus dem politischen Vakuum auf der Insel Nutzen ziehen zu können. Die Ultrarechte würde es mit Bordellen, Kasinos und Drogenhändlern füllen.

Aber die Ultralinke füllt es bereits mit Prostituierten, Hunger und Ungleichheit. Der „Neue Mensch“ aus den Träumen Ché Guevaras ist ein Alptraum. Wenn jemand wie der unheilvolle Jorge Más Canosa (Anführer der Hardliner der Exilkubaner in Miami – d.Ü.) die Partie gewinnt, kann dies in einem blutigen, endlosen Bürgerkrieg enden.

Carlos Fuentes Foto: taz-Archiv

Auf beiden Seiten der Meeresenge von Florida sollte sich die Vernunft durchsetzen. Der Ministerpräsident von Spanien, Felipe González, hat jüngst eine Wirtschaftsmission unter dem Vorsitz des angesehenen Ex-Finanzministers Carlos Solchaga nach Kuba entsandt. Die Solchaga-Mission hat Kuba empfohlen, die Wirtschaft äußerst schnell zu reformieren, wenn es seine „revolutionären Erfolge“ in Sachen Gesundheit, Erziehung und nationaler Identität retten will.

Für Solchaga bedeutet das, die rentablen Unternehmen zu privatisieren, die weniger rentablen nicht weiter zu subventionieren und die absolut unrentablen zu schließen (das sind 40 Prozent der augenblicklichen Industrieanlagen auf Kuba). Solchaga würde eine Mehrwertsteuer auf Konsumgüter einführen und eine Einkommensteuer nach dem Prinzip: Wer mehr verdient, bezahlt mehr. Die soziale Ungerechtigkeit, die die Freigabe des Dollars mit sich gebracht hat, erfordert sicherlich solche Maßnahmen. Der Schwarzmarkt muß weiß werden. Der Bauer muß das Recht haben, frei mit dem Konsumenten zu handeln und sein Produkt in die Städte zu bringen. Kuba ist eines der fruchtbarsten Agrarländer der Welt. Es ist absurd, daß es sich nicht selbst ernähren kann.

Doch wenn Kuba es schafft, sich weiterzubilden, zu heilen, und wenn es sich außerdem ernähren kann, wird es einen großen Schritt in Richtung einer lebensfähigen Ökonomie des 21. Jahrhunderts gemacht haben. Wird es dann auch eine Demokratie sein? Leider haben sich die Wünsche nach Freiheit und Demokratie nach dem Kalten Krieg weitgehend als Illusionen erwiesen. Der Kommunismus ließ glauben, daß der Kapitalismus an sich ein Erfolg sei. Ohne den Vergleich sind die Mängel der Marktwirtschaft offensichtlich geworden. Die ungelösten sozialen Widersprüche des Kapitalismus können nicht mehr hinter dem antikommunistischen Kreuzzug verborgen werden. Die Nationen zerbrechen, die internationale Unordnung überwiegt, die demokratischen Ziele werden aufgegeben, und ein neues und bedauernswertes Modell von „Realpolitik“ erhebt seinen Kopf.

Das wichtigste Beispiel ist China. Es handelt sich um eine Form des autoritären Kapitalismus: Marktwirtschaft ohne politische Freiheit. Es kann auch zum neuen kubanischen Modell werden. Das wäre traurig. Zweifellos ist Kuba ein schwieriges, seltsames und exzentrisches Land auf dem amerikanischen Kontinent. Ein von Gewalt und Träumen verfolgtes Land. Nicht umsonst heißt der beste kubanische Roman der letzten Jahre „Soñando en cubano“ (Auf kubanisch träumen). Geschrieben wurde er auf englisch, von einer jungen Exilierten, Cristina Garcia. In seinem faszinierenden Buch über das Exil in Miami zeigt David Rieff, daß Kuba ein Land ist, das romantische Bilder von sich und seiner Vergangenheit heraufbeschwört. Früher war alles romantisch: die koloniale Vergangenheit, die Diktaturen von Machado und Batista, die korrupten Regime von Grau und Prio Socarras. Vielleicht wird Kuba eines Tages nostalgisch die Jahre Fidel Castros romantisieren. Gibt es in der Welt der grauen Bürokraten eine romantischere Figur als El Comandante?

Ein faszinierendes, exzentrisches Land, wo die Politiker Selbstmord begangen haben, während sie vor einem Radiomikrophon eine Rede hielten, wo eine Handvoll Bärtiger aus der Sierra Maestra herabstieg, um die Welt zu verändern... Eine kleine Insel mit zehn Millionen Einwohnern (die Hälfte der Einwohner meiner Heimatstadt Mexiko) und mit der höchsten Konzentration von literarischem und künstlerischem Talent Amerikas. Das letzte lateinamerikanische Land, das sich von Spanien unabhängig gemacht hat, fast ein Jahrhundert später als alle anderen. Bis 1898 eine spanische Kolonie. Bis 1958 – die unselige Platt-Klausel schrieb dies fest – eine Kolonie der USA. Bis gestern eine sowjetische Kolonie. Zum ersten Mal in seiner Geschichte ist Kuba wirklich unabhängig. Weiß es Kuba? Weiß es Castro? Weiß es Clinton?

Der kubanische Patriot José Marti schrieb 1891: „Die Regierungsformen eines Landes müssen sich an seine natürlichen Elemente anpassen (...). Damit die Freiheit gangbar ist, muß sie ehrlich und umfassend sein; wenn die Republik ihre Arme nicht allen öffnet und mit allen fortschreitet, stirbt die Republik.“

Genau das wollen die Extremisten in Miami und Havanna nicht verstehen. Aber die Männer und Frauen guten Glaubens verstehen es – im Exil und auf Kuba. Ramón Cernuda in Miami und Elizardo Sánchez Santa Cruz in Havanna verstehen es, um nur zwei Namen zu nennen. Sie wollen Martis Republik. Kein Numantia, keinen Bürgerkrieg, keine Rückkehr von Más Canosa, kein Fortdauern Fidel Castros, keinen Kommunismus des Elends, keinen Kapitalismus ohne Freiheit.

Die kubanische Demokratie kann nicht von außen aufgezwungen werden. Sie kann nur von innen wachsen. Und sie könnte viel leichter wachsen, wenn die USA das Embargo gegen Kuba aufheben würde. Durch diese Entscheidung stünde das kubanische Regime wirklich vor seinem eigenen Volk, vor seiner eigenen Verantwortung und auf seinem eigenen Boden. Carlos Fuentes

Entnommen aus Página/12 (Buenos Aires). Übersetzung: Nina Karek