Rätselhafte Zwiesprache

Texte von Cees Nooteboom und Bilder von Max Neumann: „Selbstbildnis eines anderen“  ■ Von Joachim Sartorius

Jeder, der malt, jeder, der schreibt, jeder, der Bücher herstellt, hat diesen Traum gehabt: an einem Buch mitzuwirken, in dem Bild und Schrift, Malen und Schreiben, und – Schauen und Lesen überzeugend zueinander finden.

Das ist schwierig. Denn es geht nicht – wenn diese Metapher erlaubt ist – um eine blinde Schrift, der das Bild zum Sehen verhilft. Und es geht auch nicht um eine Schrift, die auf Bilder den Druck, den schrecklichen Druck der Erklärung ausübt. Selten gelang in der Vergangenheit solch ein Buch des freien, souveränen Dialogs von Maler und Autor. Vielleicht im Frankreich des 18. Jahrhunderts, gewiß am Anfang dieses Jahrhunderts in manchen Büchern des Insel Verlags, bei Anton Kippenberg, und in der Cranach Presse des Harry Graf Kessler.

Gewiß auch in Frankreich bei den sogenannten livres d'artistes, wo große Maler und große Schriftsteller sich zusammentaten und ein gemeinsames Buch als schönen Beweis ihrer Freundschaft ansahen. Zwei gelungene Bücher aus dieser Zeit seien hier erwähnt: Das eine ist 1919 in Paris erschienen, mit Pochoirs von Fernand Léger und einer surrealen Fabel von Blaise Cendrars: „La Fin du Monde Filmée par L'Ange Notre- Dame“. Beide Elemente, Bilder und Geschichte, sind ganz und gar ebenbürtig, und ganz und gar eigenständig, und bleiben doch von der ersten zur letzten Seite auf zwingende Weise aufeinander bezogen. Das andere Buch heißt „Les Mains Libres“, 1937 erschienen, ebenfalls in Paris, mit Zeichnungen von Man Ray und Gedichten von Paul Eluard.

Das Besondere daran, weil Seltenere, ist, daß zuerst die Zeichnungen existierten und dazu dann Eluard die Gedichte schrieb, die in einer Art Ergriffenheit das Verlautbarte der Zeichnungen noch einmal aufnehmen, diese Zeichnungen offenbar als Schwellen zum Abgründigen sehen (jenseits beginnt das Abgründige) und trotz einer besonderen Anschmiegsamkeit an diese Schwellen, an deren Linien ihr Eigenstes hervorkehren. Vielleicht ist eine solche Osmose zwischen zwei jeweils auf das Eigene ausgerichtet bleibenden Äußerungen das wahre Wunder der Verschränkung.

Diese letzten Sätze sprechen eigentlich schon von dem Buch „Selbstbildnis eines anderen“ mit Texten von Cees Nooteboom und Bildern von Max Neumann, das Josef Kleinheinrich auf das sorgfältigste hergestellt hat. Die Bilder, 33 übermalte Monotypien auf grünem Obsttütenpapier, gab es schon, als Cees Nooteboom seine Texte schrieb, einen Zyklus von 33 eigenwilligen Prosagedichten. In einem kurzen Nachwort beschreibt er sie „als Echo, aber doch unabhängig, als Spiegel, aber dennoch eigenständig, der Bilder, die er [Max Neumann, d. Verf.] mir gegeben hatte“.

Nun dürfen wir bei den Bildern von Max Neumann das Verstehen und Begreifen nicht so in den Vordergrund rücken. Im „Verstehen“, das der Maler so gar nicht will und gegen das er viele subtile Vorkehrungen getroffen hat, bliebe das Bild starr. Es ist daher letztlich gleichgültig, ob wir diese Bilder „verstehen“ – entscheidender ist, ob wir einen Eindruck davon haben, denn der Eindruck ist, in den Worten Laszlo Földenyis, „die tiefste Anwendbarkeit, die das Bild besitzt“, und – wie will man zum Beispiel „erläutern“, welchen Eindruck ein Blitz oder ein fremdes Zimmer oder ein Gesicht mit Sturzbächen aus beiden Ohren hinterläßt?

Wenn wir uns zunächst nur an die Materialität der Bilder halten, so fällt die Selbstbeschränkung auf. Neben Schwarz verwendet Max Neumann eine einzige weitere Farbe: Ein Rot, das er in Italien gefunden hat, das dort benutzt wird, um Häuser anzustreichen. Es ist in Blechdosen zu kaufen, „Morgan's Paint“ heißt es, mit einem kleinen Tiger als Signet. Max Neumann benutzt auch ein Fett mit Fixativ, das die Maler verwenden, um Farben transparent zu machen. Das Grün der Obsttüten wird dort, wo er das Fixativ aufträgt, dunkler, etwas glasig. In manchen Blättern drückt sich dann das auf die Obsttüten Gedruckte spiegelverkehrt durch, und wir können „Obst“ lesen, oder: „vitaminreich“. Die Anordnung von Texten und Bildern im Buch ist streng: eine Doppelseite Text, dann eine Doppelseite, die links leer bleibt und rechts das Bild zeigt – und dieses 33mal in Folge.

Was sehen wir auf Max Neumanns Bildern? Trauer, Schmerz? Nein. Die Szenen, die wir sehen, sind vor allem beunruhigend: eine tiefe, schwer zu erfassende Spannung durchdringt sie. Die Welt wird, wie in manchen Bildern Goyas, als eng erlebt. Dadurch entsteht ein großer innerer Druck, eine Leidenschaft, die in Gestalt von Visionen, verletzlichen Masken, von Alpträumen, Monstern, tierischen Wesen hervorbricht. Da ist das weitaufgerissene Maul eines Hundes, von halluzinatorischer Bedrohlichkeit. Da ist ein Gesicht wie ein Herzmuskel; Arterien kommen aus diesem Kopf heraus wie ein abgeschnittenes Geweih; ein strampelnder Zwitter aus Lurch und armlosen Baby hängt am Pendant einer Kette, die um die Halsbinde gelegt ist, in der dieser Kopf steckt: eine stumme, rätselhafte Zwiesprache wie in einem quälenden Traum.

Dann ein Blatt mit zwei Gesichtern, vielleicht auch drei. Scheinbar beziehungslos. Ein Gesicht hat ein schwarzes Quadrat vor dem Mund, leere Augen. So, als wäre das Einzige, was jetzt helfen könnte, ein Paar riesengroßer schraffierter Ohren. Mit einer Sonnenbrille vor der Zeichnung, mit einem Kopf hinter dem eigenen Kopf, der Verborgenes tut. Ein Spaziergang durch einen abgedunkelten Wald täte jetzt gut, eine Quelle, um seinen Kopf und den Kopf des anderen darunter zu halten.

Es ist erfrischend, solche Sätze zu denken, wenn man die Bilder von Max Neumann betrachtet. Man kann sich aber auch dem freien, durch lange Übung traumsicheren Spiel der Formen und Farben auf jedem einzelnen Blatt überlassen. Spontan denke ich an die Hand eines erfahrenen Dirigenten, und an den Maler, der dieser Hand, seiner Hand, zuschaut und manchmal lacht und öfters fürchtet, seinen Kopf fürchtet. Dann spielen die Personen und Wesen auf seinen Bildern Sterbeletz, und die Linien auf ihnen führen uns an unserer eigenen kalten Hand wieder an den Anfang zurück.

Die Bilder von Max Neumann sind Inseln, die mit der sichtbaren Welt kaum noch etwas zu tun haben; die Persönlichkeit des Malers durchdringt diese Bilder so unverhüllt, daß die Welt auf die innere Welt reduziert ist; aber diese Reduktion ist so restlos, daß alles in der Perspektive des Inneren erscheint. Im Traum nimmt der Träumer keinen präzisen Platz ein, weil er es ist, der Raum und Zeit entstehen läßt. Im gleichen Sinn ist Max Neumann Schöpfer, und ebenso ist es Cees Nooteboom.

Fortsetzung auf Seite 16

Fortsetzung von Seite 15

Beide verfügen über die Macht der Kunst: etwas jenseits der Realität zu schaffen, die Fallen unserer Zeitlichkeit zu überlisten, mit uns einen neuen Raum zu betreten.

Dieser Raum ist befremdlich. Wort wie „der Andere, das Andere“ oder auch „Selbstbildnis eines anderen“ weisen auf ein wichtiges Leitmotiv in Cees Nootebooms Schaffen hin. Das Andere bedeutet alles Befremdliche und Fremde, auf den ersten Blick auch Unbegreifliche, das Ängste weckt, aber auch unsere Phantasien in wunderbarer Weise freisetzt.

Wir kennen Cees Nooteboom als Autor von Romanen, die eine Sehnsuchtsreise durch europäische Landschaften und Literaturen unternehmen, als Dichter schwieriger Gedankenlyrik, als literarischen Reisereporter. Auf brillante Weise haben wir von ihm über die wirklichkeitsstiftende Kraft der Literatur gelernt. Hier, in diesem Buch, zeigt er sich von einer neuen Seite: Er öffnet uns seine Träume. Da ist ein alter Mann mit schrumpliger Haut in einer geschützten Bucht. Ein Schwimmer, der ihn beobachtete, sieht später „bei den Felsen die Spuren der Sandalen im feuchten Sand, daneben den seltsamen, stets wiederkehrenden Strich der Federn“. Von Engeln ist die Rede, aber auch von bedrückenden Städten, von Hunden, von endlosen Reihen von Gesichtern mit leeren Augen, Doppelgänger der Gesichter auf Max Neumanns Bildern, von „fleischfressenden Betten“, von immer schneller laufenden Uhren. Nooteboom verarbeitet Kindheitserinnerungen aus dem Krieg, Tagträume an den Stränden von Menorca, seiner zweiten Heimat, auf Reisen erfahrene Gesichte, unterirdische, ihn prägende Bilder. Es entsteht ein sehr persönlicher Kosmos, in einer klaren Sprache, von beklemmender Weisheit: „Die Zahl der Leben in einem älteren Körper ist unerträglich.“

Zum Ende sei noch einmal Cees Nooteboom zitiert: „Darauf verständigten wir uns auch, als wir beschlossen, gemeinsam dieses Buch zu machen: Ich sollte nicht versuchen, seine Werke zu beschreiben, sondern – aus der Atmosphäre der Bilder und meinem eigenen Arsenal von Erinnerungen, Träumen, Phantasien, Landschaften, Geschichten und Alpträumen schöpfend – eine Serie von Textbildern schaffen, als Echo, aber doch unabhängig, als Spiegel, aber dennoch eigenständig, der Bilder, die er mir gegeben hatte.“ Und er fährt fort: „Dies nun ist das Ergebnis, das Selbstbildnis eines anderen. Wenn es gelungen ist, so muß dieser Titel in zweifacher Hinsicht zutreffen.“ Es bleibt nur zu sagen: Es ist gelungen. Die Persönlichkeit des Malers und die des Schriftstellers durchdringen dieses Buch, so daß wir die Porträts unverhüllt darin finden können. Allerdings: Je länger wir sie betrachten, desto geheimnisvoller werden sie.

Cees Nooteboom: „Selbstbildnis eines anderen“. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen, Zeichnungen von Max Neumann, Verlag Kleinheinrich, Münster, 120 DM