Kampf um die Macht um jeden Preis

In der afghanischen Hauptstadt Kabul wird weiter heftig gekämpft / Allianz zwischen ehemals bitter verfeindeten Mudschaheddin-Gruppierungen Hekmatjars und Dostams  ■ Von Ahmad Taheri

Berlin (taz) – Knapp zwei Jahre nach dem Sieg der afghanischen Mudschaheddin über die Kommunisten und ihren Führer Nadschibullah bekämpfen sich in der Hauptstadt Kabul rivalisierende Gruppierungen weiterhin mit aller Macht. Bei den Gefechten, die sich die Soldaten und Milizen der verschiedenen Gruppen teilweise um einzelne Straßen oder Stadtviertel lieferten, kamen in den vergangenen drei Tagen etwa siebzig Menschen ums Leben Leben. Sechshundert, meist Zivilisten, wurden verletzt.

Häuser, Straßen und Einrichtungen, die nach vierzehn Jahren Bürgerkrieg unversehrt geblieben waren, sind nun zerstört. Und alle Parteien versuchen, weitere Verstärkung in die Stadt zu holen.

Anfang 1992 beschoß der Rebellenführer Gulbuddin Hekmatjar die afghanische Hauptstadt Kabul, wo sich die Milizionäre des usbekischen Generals Raschid Dostam – einst Duzfreund des gestürzten Nadschibullah – befanden. Jetzt hat sich der Paschtunenführer, der nominell Ministerpräsident des Landes ist, mit dem ehemaligen kommunistischen Haudegen verbrüdert: Gemeinsamer Gegner ist der zur Volksgruppe der Tadschiken gehörende Staatspräsident Burhanuddin Rabbani.

Die neue und merkwürdige Allianz hat ihre Gründe: Seit zwei Monaten toben erneut Kämpfe zwischen den Truppen Rabbanis und der Islamischen Partei Hekmatjars. Und Hekmatjar gerät zusehens in Bedrängnis. Dabei geht es hauptsächlich um die Kontrolle der Gebiete östlich von Kabul, namentlich des Distrikts Sarubi, sechzig Kilometer entfernt von der afghanischen Metropole.

In Sarubi befindet sich nämlich ein gewaltiger Staudamm, der Kabul mit elektrischem Strom versorgt. Kontrolliert wurde das von Paschtunen besiedelte Gebiet bis jetzt von Hekmatjar, der in den vergangenen zwei Jahren die Hauptstadt schon des öfteren von der Versorgung mit Elektrizität abschnitt.

Die Kabuler Zentralmacht ist anscheinend entschlossen, die strategisch wichtige Region freizukämpfen, zumal die Verbindungsstraße zwischen Kabul und dem Khyberpaß durch Sarubi verläuft. Der Khyberpaß ist die elementar wichtige Nachschubroute aus Pakistan.

Lokale Kommandanten treiben eigenes Spiel

Den Berichten nach ist es dem früheren Verteidigungsminister Ahmad Schah Masud, der die Regierungstruppen führt, gelungen, einige Erfolge zu erzielen. Im Gegensatz zu seinem Rivalen Hekmatjar verfügt der tadschikische Kommandant über Kampfflugzeuge.

Auch in den anderen afghanischen Provinzen ist Hekmatjar in Bedrängnis geraten. Selbst in den paschtunischen Provinzen Paktia, Nangahar oder Parwan – bis jetzt die Hochburgen der Islamischen Partei – haben sich die Kommandanten Hekmatjars von ihrem Führer losgesagt und treiben ihr eigenes Spiel mit der Macht.

Die Kriegskasse des Rebellenführers, heißt es, gehe langsam zur Neige. In den nördlichen Provinzen Fariab und Kunduz, die hauptsächlich von Tadschiken bewohnt sind, wurde mit den Stellungen der Islamischen Partei aufgeräumt. Der Vormarsch der Regierungstruppen im Norden Afghanistans dehnte sich auf das Machtgebiet General Dostams in der Provinz Balgh aus, dessen Regierungssitz Mazar-i-Sharif ist. Der Flughafen der Stadt, so heißt es, befinde sich bereits in Händen der Rabbani- Truppen.

Zugleich hat der tadschikische Herrscher von Herat, Ismael Khan, begonnen, seine Volksgenossen in Kabul per Flugzeug mit Waffen und Kämpfern zu versorgen, was eine allmähliche Übermacht der Tadschiken bedeutet. Die neue Frontstellung hat in Afghanistan Tradition: Immer wenn eine Ethnie oder eine politische Partei an Macht gewinnt, vereinigen sich die anderen gegen sie, um den Machtausgleich zu erreichen. Das ist afghanischer Pluralismus mit der Kalaschnikow.