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Angeklagter nickte brav

■ Geldbuße für Lehrling wegen Besitzes von 112 Aufklebern der NSDAP-AO

Mit dem flammenden Plädoyer eines Jugendrichters gegen politisch motivierte Gewalt ging gestern der Prozeß gegen einen 20jährigen Angeklagten zu Ende. Der Schlosserlehrling hatte wegen Besitzes von drei Kugeln scharfer Munition, einer Stahlrute und verfassungsfeindlichen Symbolen vor Gericht gestanden.

Bei einer Hausdurchsuchung im März waren bei ihm Aufkleber der rechtsextremen Organisation NSDAP-AO mit der Aufschrift „Rotfront verrecke“, „Wir sind wieder da“ und „Wir sind trotz Verbot nicht tot“ beschlagnahmt worden.

Die Polizeiaktion war auf Anordnung des Amtsgerichts Koblenz erfolgt, bei dem ein Verfahren gegen die Skinhead-Band „Störkraft“ anhängig war. Auf den Namen des Angeklagten war man gestoßen, weil dieser bei „Störkraft“ einmal eine Musikkassette bestellt hatte.

Der seit seiner Geburt sprachbehinderte Angeklagte Michael B. wohnt bei seinen Eltern in Tiergarten. Von seiner Kleidung und seiner Haartracht her wirkte er wie viele junge Männer seines Alters. Jeans, Lederjacke, Turnschuhe, ohrlanges Haar. Die Fragen von Jugendrichter Schultze beantwortete er mit ganz kurzen Sätzen. Die Munition, die Stahlrute und die Aufkleber habe er vom Flohmarkt am Reichpietschufer. Sein Motiv: „Neugier“, er sammle so was. Nein, er habe „keine rechtsradikale Meinung“ und sei auch in keiner Organisation. Seine Freizeit verbringe er als ehrenamtlicher Helfer in der kirchlichen Jugendarbeit. Demnächst werde er seine Gesellenprüfung ablegen und dann den Zivildienst antreten, nachdem er den Wehrdienst verweigert habe.

Aus dem Angeklagten schlau zu werden war schwer. War er wirklich so harmlos, oder spielte er den naiven Klein-Doofi? Das Jugendgericht verurteilte ihn zu 500 Mark Geldbuße. Diese Strafe, so Richter Schultze, sei Ausdruck dafür, daß das Gericht die Taten des Angeklagten sehr ernst nehme. Die Bundesrepublik, hob der Richter zu seiner Rede an, dürfe werde dem „Terror“ von links noch dem von rechts weichen. Nach den Anschlägen von Mitgliedern der Rote Armee Fraktion (RAF) sei der Staat nun neuen Gefahren von rechts ausgesetzt. Diesen müsse entschieden entgegengetreten werden. Das Urteil „soll Sie wachrütteln“, nicht irgendwelchen „Rattenfängern aufzusitzen“, sagte Richter Schultze. Der Angeklagte nickte brav dazu. plu

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