Ein letztes Mal bedient

Manischer Expressionist: Zum Tod des Grazer Dramatikers Werner Schwab am Neujahrstag  ■ Von Petra Kohse

„Als das LÄCHERLICHSTE und EITERÜBERFLÜSSIGSTE erschien mir allemal: das Theater als existierendes Theater. Darum bin ich auch Dramatiker geworden, weil ich als österreichischer Trabantendeutscher als ERSTES und WICHTIGSTES zerstören will: MICH.“ Dies schrieb Werner Schwab 1991. Das Bedürfnis, Wendungen durch Versalienschreibung hervorzuheben, ist das eines manischen Expressionisten, der mit dem, was er sagen will, ständig an die Grenzen der Sprache stößt. Auch den französischen Theatertheoretiker Antonin Artaud drängte es immer wieder zur Großschreibung. Die Angst vor dem Ungenügen der Sprache, vor dem Mißverstandenwerden bei gleichzeitigem Ausdruckszwang, trieb beide auch zur fortwährenden Umkreisung ihres Themas: dem Leiden an der Existenz.

Artaud und Schwab. Der Vergleich fängt sicher bald zu hinken an. Aber ein Stück weit trägt er noch. Süchtige, beide. Vom Selbsthaß geplagt und missionarisch beseelt. „Das Publikum will eigentlich nicht von kuscheligen Wattestäbchen saubergebohrt werden und auch nicht von kleinen Massagestäbchen gekitzelt werden, ES will einen hell leuchtend glühenden Laternenpfahl als Theater in die deutschen Eingeweide gerammt bekommen. Dies ist eine Behauptung, und alle Behauptungen sind richtig.“ Wieder Schwab. So apodiktisch wie Artaud.

Und manchmal auch so apokalyptisch: „Der Staat ... er hat sich selber den Krieg erklärt und sich das eigene Brot aus dem Staat herausgestohlen ... brennende Brotlaibe, finsteres Licht, Fackeln aus Würsten und selbst das Wasser schickt an sich, zu brennen.“ Aber während Artaud beispielsweise in seinem Text über „Das Theater und die Pest“ (1933) eine universelle Zerstörungskraft beider beschwört und sie in eine allgemeinmenschliche Katharsis münden läßt, explodiert bei Schwab – wie hier in „Übergewicht Unwichtig Unform“ – nur die Zivilisation, und es folgt statt der Transzendenz nur die Hölle der Wiederholung. „Daß alles Passierte immer wieder passieren muß. Daß wir immer wieder uns umbringen und hinunterfressen müssen. Daß das gleiche immer wieder einfach so daherkommt, als täte es die Möglichkeit, daß man sagt: ohweh, schon wieder das gleiche, gar nicht geben.“

Deswegen gierte Artaud auch nach religiösen Kults, und Schwab schrieb Auftragsdrama um Auftragsdrama, und eins glich immer mehr dem anderen. Deswegen klebte Artaud drogensüchtig am Leben, bis er 52 war und aussah wie 95. Er starb erfolglos und einsam an Krebs. Schwab ist 35 Jahre alt geworden, hat sich vermutlich zu Tode gesoffen und einen kindlich-zarten Zug im aufgeschwemmten Gesicht nicht verloren. Er starb zu einem Zeitpunkt, da sein schneller Ruhm den Zenit zwar schon überschritten hatte, aber noch nicht am Verblassen war. Er starb als Erfolgsdramatiker.

Über keinen Theaterschreiber ist in so kurzer Zeit so viel publiziert worden wie über Werner Schwab seit 1991. Fast immer betrunken und aggressiv, eignete er sich prächtig für launig-skurrile Porträts. Vor der Kamera posierte er mit brennendem Umhang, oder blaß und verstruwwelt. Und seine Texte, seine Sprache! Als ob er, der gelernte Bildhauer und Holzfäller, sämtliche Klischees verschmolzen, gehärtet und dann zu neuen behauen hätte. Nach dem ersten Stück war schon der Schwabismus geboren. Hilflos nach Würde ringender Ausdruck des sich selbst entfremdeten, sich und andere zerfleischenden, moralisch pervertierten Kleinbürgers (auf schwabisch: Eigenmensch): „Der Hermann und ich haben heute nacht aber eindeutig einen eindeutigen Geschlechtsverkehr aufgebaut, der einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen hat auf der Wirklichkeit“, sagt Anna Rottweiler in „Der Himmel Mein Lieb Meine Sterbende Beute“ und erhält zur Antwort: „Verkneifen Sie sich, Sie möglicher Mutterkrüppel.“ – Menschheitsekel zu Figuren geronnen, die wiederum ihren Selbstekel absondern, als Literatur. Zeitstücke. Dazwischen traurige Aphorismen: „Wir sind in die Welt gevögelt und können nicht fliegen.“ Ein haßerfüllter Österreicher ohne die Bernhardsche Intellektualität, aber mit der gleichen verzweifelten und unterhaltsamen Lust am Tabubruch. Wenn Schwab sich nicht entschlossen hätte, ein „berühmter Dichter“ zu werden, weil er Geld verdienen wollte – nur ein Deix hätte seine Überdrußgestalten skizzieren können. Er selbst wäre unerfunden geblieben.

Spektakuläre Inszenierungen zwischen Wien und Hamburg, Theater heute-Nachwuchsdramatiker des Jahres 1991, ebenda Dramatiker des Jahres 1992, Mülheimer Dramatikerpreis 1992 und immer neue Uraufführungen seiner „Fäkaliendramen“ oder „Radikalkomödien“. Mord, Inzest, Exhibitionismus, seelisches Krüppeltum. „Mein Hundemund“, „Hochschwab“, „Offene Gruben Offene Fenster“, „Pornogeographie“, eine „Faust“-Paraphrase war für dieses Jahr geplant. Bernhard Minetti sollte mitspielen. Aber der sagte nach Durchsicht des Manuskripts schon im letzten Sommer ab. Karriereknick. Wie lange erträgt das Publikum das Immergleiche? Wie lange ertrug Schwab das Immergleiche? Wäre anderes, Konstruktiveres gekommen? Müßige Frage. Werner Schwab ist tot. Wir fleddern ihn dankbar, mit diesem frühen Abschied hat er uns ein letztes Mal bedient.