Adams spricht von „bedeutender Entwicklung“ in Nordirland

■ Offiziell zugestimmt hat der Sinn-Féin-Präsident der anglo-irischen Erklärung jedoch noch nicht / Proteste der Unionisten

Dublin (taz) – Das Rätselraten in Nordirland über die Chancen einer Verhandlungslösung geht weiter. Zwar hatten sich in den vergangenen Tagen alle beteiligten Seiten erneut zu der gemeinsamen Nordirland-Erklärung der britischen und irischen Regierung geäußert, doch eine verbindliche Erklärung der Partei Sinn Féin, („Wir selbst“), des politischen Flügels der Untergrundorganisation IRA, steht noch aus.

Aufhorchen ließ da am Montag Abend eine Rede des Sinn-Féin- Präsidenten Gerry Adams vor Parteimitgliedern in West-Belfast. Er bezeichnete das anglo-irische Dokument als „möglicherweise bedeutsame Entwicklung“. Er sagte: „In der gemeinsamen Erklärung hat die britische Regierung – wenn auch stark eingeschränkt – zum ersten Mal anerkannt, daß das irische Volk als Ganzes ein Recht auf Selbstbestimmung hat.“

Die Regierungen in London und Dublin hatten am 15. Dezember eine Erklärung mit dem Kernsatz veröffentlicht, daß es „allein der Bevölkerung der irischen Insel obliegt, (...) ihr Recht auf Selbstbestimmung auf der Grundlage der freien und beiderseitigen Zustimmung des Nordens und des Südens auszuüben, um ein vereintes Irland herbeizuführen.“ Dieser Satz bedeutet, daß ein vereintes Irland nur zustande kommen kann, wenn die Mehrheit in Nordirland zustimmt. Wenn die IRA die Waffen drei Monate lang ruhen lasse, so versprachen die beiden Premiers, dürfe auch Sinn Féin am Verhandlungstisch Platz nehmen.

Sinn-Féin-Vizepräsident Martin McGuinness hatte am Sonntag einen britischen Truppenabzug als Voraussetzung für Frieden gefordert und die Erklärung der beiden Regierungen als „wertlos“ bezeichnet. In dem Bemühen, eine Ablehnung der Erklärung durch Sinn Féin zu verhindern, sagte der irische Premierminister Albert Reynolds noch am selben Abend, daß die „Zeit für einen Entmilitarisierungsprozeß“ gekommen sei. Außerdem ließ er durchblicken, daß der irische Zensurparagraph, der Radio- und Fernsehinterviews mit Sinn-Féin-Mitgliedern verbietet, nicht verlängert werden soll.

Reynolds Äußerungen lösten in London zwar Verärgerung aus, doch ein Regierungssprecher spielte die Unstimmigkeiten gestern als unbedeutend herunter. Die nordirischen Unionisten dagegen protestierten gegen Reynolds' Erklärungen. Der protestantische Pfarrer Ian Paisley sagte: „Die gemeinsame Erklärung trägt jetzt den blutigen Fingerabdruck der IRA. Reynolds will das Selbstbestimmungsrecht der Menschen in Nordirland zerstören.“

Eine Entscheidung über die Initiative der beiden Regierungen ist trotz aller Rhetorik noch nicht gefallen. Allerdings hat die taz aus IRA-nahen Kreisen erfahren, daß die anglo-irische Erklärung letztendlich wohl abgelehnt werden wird, weil sie den Status quo festschreibe. Die britische Regierung hat angedeutet, daß sie eine Stellungnahme von Sinn Féin und IRA bis zum Monatsende erwarte.

Bernadette Devlin-McAliskey, eine der führenden Persönlichkeiten der Bürgerrechtsbewegung Ende der sechziger Jahre und damals jüngste Westminster-Abgeordnete, bezog bereits am Sonntag deutlich Stellung. Sie bezeichnete die gemeinsame Erklärung als „Betrug“, der an „kriminelle Verantwortungslosigkeit“ grenze, da das Dokument „keine realistische Chance bietet, eine gewaltfreie Lösung des Konflikts“ herbeizuführen. „Diejenigen, die wissentlich bei dieser Täuschung mitgemacht haben“, sagte die parteilose Devlin-McAliskey, „werden die historische Verantwortung für die Folgen zu tragen haben.“ Ralf Sotscheck