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: „Pädophagen“

„Pädophilie oder die mißbrauchte Kindheit“, Dienstag, 20.40 Uhr, arte

Der Titel ließ hoffen auf ein klärendes Wort in schwieriger Sache – die Hoffnung wurde enttäuscht. Pädophilie und Mißbrauch sind zwei Begriffe, die nicht schon von sich aus klar die Sachverhalte benennen. Sie müssen in ihrem kulturellen Kontext erläutert und vor allem deutlich voneinander abgegrenzt werden.

Ein „humanitäres Muß“ sei die Sendung gewesen, meinte Daniel Leconte als Moderator – geboten wurde ein Musterbeispiel journalistischer Voreingenommenheit. Da haben andere Sender (beispielsweise 3 sat) bereits mehr an Information und Analyse zu dem schwierigen Doppelthema geleistet.

Gewiß, deutliche Bilder wurden gezeigt zu einer schlimmen Wirklichkeit: Kinderprostitution in Südostasien und die touristische Form des Kolonialismus. Der Hinweis auf wirtschaftliche Interessen und die Komplizenschaft der Behörden mußte eine genauere Analyse ersetzen.

Statt dessen: Ausbeutung und Gewalt sei das wahre Gesicht der Pädophilie – so lautete die Message. Und Experte dafür war der Gerichtspsychiater Michel Dubec, der trefflich den „gesunden Menschenverstand“ gegen die „perversen Pädophilen“, die ihre „Gelüste ausleben“, ins Feld zu führen wußte und mehr über Recht und Ordnung („Strafe braucht keine Rechtfertigung“) als über die menschliche Psyche sprach.

Nur vereinzelt schimmerte durch, daß die einvernehmlichen (auch sexuellen) Beziehungen „zwischen den Generationen“ in eine andere Welt menschlichen Miteinanders führen würden, doch dieser Weg wurde nicht gesucht, statt dessen wurden so nebenbei ganze Berufsgruppen und Lebensbereiche diffamiert („Ferienheime, Lehrer, Untersuchungsrichter, Sportanlagen“), die von den „Perversen“ unterwandert seien.

Ein richtiger Schriftsteller (Gabriel Matzneff) durfte die Sache der Pädophilen vertreten – man zeigte ihn, wie er sich eine Antwort überlegt –, Schnitt, „dieser Herr“ hatte eben nichts zu sagen. So war es leicht, gleich die Literatur insgesamt als kollektive Ausrede abzutun. Nicht nur für den freundlich blickenden Michel Polac locken die Schriftsteller „die Wölfe in den Schafstall“. Kinderfresser, „Pädophagen“, war sein Beitrag zur Sache.

Das alles wurde präsentiert im journalistischen Stakkato und in einer neuen Sprache des Unmenschen („Horror“, „Pest“, „Perversion“, „Kinderschänder“, „Massenmörder“) – und alles im Interesse der Kinder, die uns „heilig“ sind.

arte schuldet uns einen Themenabend „Pädophilie oder die mißbrauchte Kindheit“. Doch dazu muß man mehr lesen als eine Reportage im Nouvel Observateur. Wolfram Setz