Das Kalkül des Verrats

■ Afghanistans Warlords und ihre wechselnden Allianzen im Bürgerkrieg

Delhi (taz) – Auch gestern gingen die heftigen Gefechte in Afghanistans Hauptstadt Kabul und im Norden des Landes weiter. Dabei haben die Soldaten von Präsident Burhanuddin Rabbani offenbar den Kabuler Flughafen – der schwer beschädigt ist – von den Kräften des usbekischen Generals Raschid Dostam zurückerobert.

Nahe der nördlichen und stark umkämpften Stadt Mazar-i-Scharif, wo sich das Machtzentrum Dostams befindet, sind nach Angaben afghanischer Diplomaten in Islamabad vier mit Dostam verbündete Generäle bei einem Hubschrauberabsturz umgekommen. Die Ursache war zunächst unklar.

Der Ausbruch bewaffneter Feindseligkeiten zwischen den ehemaligen Verbündeten Dostam und dem Gespann Rabbani/ Ex- Verteidigungsminister Ahmed Schah Massud öffnet im anderthalbjährigen afghanischen Bürgerkrieg eine neue Front.

Bisher war er von der Rivalität zwischen Rabbani und Massud auf der einen Seite und Gulbuddin Hekmatjar auf der anderen bestimmt. Die zwei Abkommen, die 1993 unter dem Druck des Iran, Pakistans und Saudi-Arabiens zwischen den beiden wichtigsten Gruppierungen aus dem Norden und dem Süden des Landes zustande kamen, vermochten diese Gegnerschaft, die durch ethnische und religiöse Unterschiede noch genährt wird, nicht lange zu überbrücken.

Die Ernennungsurkunde, die Hekmatjar – im Tausch gegen eine Verlängerung des Präsidentenmandats für Rabbani – zum Premierminister machte, wurde rasch zu Makulatur. Statt in die Hauptstadt einzuziehen, verschanzte sich der neue Regierungschef des Landes wieder in seinen alten Stellungen im Süden Kabuls, von wo er seinen eigenen Amtssitz regelmäßig beschießen konnte. Gleichzeitig kontrollierte er die östlichen Zufahrten, die wichtige Verbindungen nach Peshawar und in die fruchtbare Nangrahar-Provinz sind, und konnte so die Stadt wirtschaftlich unter Druck setzen.

Hekmatjar hatte die Weigerung, sein Amt als Premier anzutreten, bisher immer mit dem Argument begründet, er könne nicht mit Leuten zusammenarbeiten, welche einen Kommunisten – Raschid Dostam, ehemals wichtige Stütze des 1992 gestürzten Nadschibullah – zu ihren Verbündeten zählen. Dostam erhoffte sich für seine Parteinahme zugunsten Rabbanis und Massuds einen Teil der Kriegsbeute in Form eines wichtigen Kabinettspostens. Aus Rücksicht auf das prorussische Image des selbsternannten Generals vertröstete man ihn jedoch mit Versprechungen wie der Mitgliedschaft an einem kollektiven Verteidigungsrat. Der wurde aber nie funktionsfähig, weil Verteidigungsminister Massud nur seinen Titel, nicht aber sein Amt abzugeben bereit war.

Doch Dostam blieb nicht untätig und konsolidierte seine Macht im Norden des Landes, indem er etwa den Bürgerkrieg in Tadschikistan ausnützte, um auch unter den schiitischen Tadschiken immer mehr Gefolgsleute zu finden. Es ist möglich, daß dem ehrgeizigen Usbekenführer schließlich die Geduld ausging und er beschloß, sich mit seinem Gegner Hekmatjar zusammenzutun, um so zu versuchen, sich in Kabul zu installieren. Dieses Szenario ist um so plausibler, als dem intrigenreichen Hekmatjar schon früher Kontakte mit Dostam nachgesagt wurden – obwohl er ihn öffentlich denunzierte. Es ist aber ebenso wahrscheinlich, daß Dostam für das Gespann Rabbani/Massud zu einem immer gefährlicheren Gegner wurde, je länger er seinen Einfluß unter den Tadschiken – Machtbasis Massuds – ausweiten konnte.

Sowohl Pakistan und Saudi- Arabien wie auch Iran und die GUS-Staaten sehen im Gespann Rabbani/Massud die noch beste Chance, ein Auseinanderbrechen Afghanistans zu verhindern, was für den Zusammenhalt der jungen Staaten im Norden verhängnisvolle Wirkungen haben müßte. Dies gilt selbst für Usbekistan, trotz der ethnischen Verwandtschaft mit Dostam. Auch in Afghanistan selber haben sich wichtige regionale Gruppierungen zu einer Unterstützung des Präsidenten durchgerungen.

So hat sich etwa die in der Ostprovinz Nangrahar regierende Shura politisch auf die Seite Rabbanis geschlagen, nachdem ihre bisherige Neutralität und zahlreiche Vermittlungsversuche fruchtlos blieben. Im Westen hat der starke Mann der Region um Herat, Ismail Khan, gar militärische Unterstützung versprochen. Laut Berichten aus Peshawar sollen bereits Soldaten und Waffen in der von Massud kontrollierten Luftwaffenbasis von Bagram im Norden Kabuls gelandet sein. Bernard Imhasly