Der Sieg der Hühnchenhaftigkeit

■ „Zwei Männer in Verona“: Lachhaftes aus dem Shakespearestadel am Leibnizplatz

Sagt ein Motorradfahrer zu einem Passanten: „He, Sie, warten Sie mal, wie komme ich, äh...“, sagt er und fängt an, vehement in seinem Falk-Plan herumzublättern. Sagt der Passant: „Aber das hier ist Padua, nicht Mailand!“ Sagt der Motorradfahrer: „Ha, jetzt weiß ich erst, warum ich hier nichts erkenne!“

Sehen Sie, wenn Sie am Mittwoch dabei gewesen wären, hätten Sie sich wenigstens am Lachen des Publikums anstecken können, wenn schon nicht an dem Witz, den die shakespeare company aus ihrem neuesten Shakespearestück gemacht hat.

„Zwei Herren aus Verona“, das ist ein Spielchen über zwei Jungens, die sich in die selbe vergaffen, über das wirrselige Anzetteln von Liebschaften, und überhaupt über die Zeit, in der das Herz noch ein tapsiger Jäger ist. Das Spielchen ist aber auch, ehrlich gesagt, ein recht oberflächliches, zumal gemessen am späteren Shakespeare; und die Bühnen haben gut daran getan, es zu meiden. Auch unsere Company hat sich zehn Jahre lang nicht getraut, bis es Renato Grünig, ehe er demnächst das Ensemble verläßt, dann doch noch packte.

Unter seiner (und Norbert Kentrups) Regie durchlief das Stück die bewährten Verarbeitungsgänge der Company: Man übersetzte es neu (Maik Hamburger), was uns nebenbei Leute einbringt, die in Liebe sind („in love“) oder Mädchen, die holen und tragen können („fetch and carry“); man peppte es textmäßig auf und tat hinsichtlich der Aktualität ein wenig Verkehrslärm ins Off, allerdings sehr witzig nur mittels zweier Saxophone; man besetzte die Männerrollen mit Frauen und umgekehrt, „um das Bild, das jeweils ein Geschlecht vom anderen hat, erkenntlicher zu machen“, wie im Programmheft geschrieben steht; man machte sich überhaupt fünf Probenmonate lang einen Haufen Gedanken über die Unerforschlichkeiten des Seelenlebens, man deutete allerhand ins Stück hinein und las noch viel mehr heraus; man fing an bei C.G.Jungs Begriff von der „Anima“ als der Frau im Manne und hörte bei Botho Straußens Verkündigungen „Über Liebe“ noch lange nicht auf; man druckte schließlich das alles ins Programmheft, ging auf die Bühne und spielte, endlich befreit, den alten Klamauk.

Die Wahrheit ist, daß die Company wieder einmal keinen einzigen Lacher ausgelassen hat; so brachte sie sich halbwegs durch das heikle Stück und uns um das ganze bißchen Shakespeare, welches darin ja doch trotz aller Schwächen enthalten ist. Über die Mannsbilder, wie sie uns von Ariela Ruchti, Karin Probst, Petra Schmid und Barbara Kratz gegeben werden, erfahren wir nunmehr, daß allesamt recht breitbeinig, rauhbauzig und überhaupt ganz furios daherkommen; und Robert Brandt und Erik Roßbander halten also die Weiberleut für ziemlich tütrülü, na da schau her.

Nein, es ist schon ein Vergnügen, zum Beispiel den Robert Brandt zu sehen, wie er als verliebte Julia so possierlich und zugleich hühnchenhaft seines Weges hüpft. Aber leider erfahren wir über diese ganze Julia auch nach den drei bislang längsten Stunden des neuen Jahres nicht viel mehr, als daß der Schauspieler Robert Brandt sich unermüdlich über sie lustig machen kann.

Auch die andern Schauspieler halten sich wohlweislich an ihre Gaben. Immerzu mischen sie ihre zwei, drei, vier Rollen aus den fünf, sechs, sieben Aggregatzuständen des Menschenlebens zusammen, welche sie teils schon sehr gut beherrschen, z.B. aus „Furcht“ und „Jovialität“, aus „Grandezza“ oder eben „Hühnchenhaftigkeit“; aber was interessieren uns am Ende Gestalten, die über ihre fünf, sechs, sieben Aggregatzustände einfach nicht hinauskommen wollen.

Nur gut, daß das Stück schon auch fast alles vorrätig hat, was die Company für ihr Bühnenleben so braucht: Jede Menge Rollen zum unentwegten Umziehen und Faxenmachen, viel Drunter, viel Drüber, woraus man schöne szenische Späßchen flunkern kann. Das Premierenpublikum freute sich denn auch von Herzen, aber manchmal, wenn der Eindruck nicht trügt, kroch geradezu ein gewisses Gähnen durch die Reihen.

Ja, manchmal war's gar zu langweilig, weil die Company einfach gar zu abhängig ist von richtigen Shakespearehandlungen mitsamt ihrem unermeßlichen Shakespearedurcheinander, in welchem man's nicht so merkt, wo die Grenzen dieser Gestaltendarsteller sind. Wenn aber der Meister einmal schwach wird und uns den Weltenquargel bloß nachahmt statt vormacht, wenn also ein Stück herauskommt, in dem das großmächtige Shakespearegetriebe so ziemlich im Altbekannten dahinleiert, ja dann.

Manfred Dworschak

nächste Vorstellung: heute um 19.30 Uhr im Theater am Leibnizplatz