Polen will Nato-Beitritt ohne Vorbedingungen

■ Prof. Jerzy Wiatr, außenpolitischer Experte des „Demokratischen Linksbündnisses“ und Mitglied des Verteidigungsausschusses, zur Rolle Polens zwischen Rußland und Nato

taz: Vor und unmittelbar nach den Wahlen vom 19. September betonten die Vertreter der Bauernpartei und Ihrer Partei, die Nato müsse sich erst reformieren, bevor Polen versuchen könne, aufgenommen zu werden. Während der Koalitionsverhandlungen hieß es dann, der Natobeitritt solle mit Volldampf und als außenpolitische Priorität verfolgt werden. Haben Sie Ihre Linie geändert?

Wiatr: Die Formulierungen in unserem Parteiprogramm sind eher als Prognosen, denn als Forderungen zu verstehen. Wir stellen keine Vorbedingungen für einen Nato-Beitritt.

Haben Sie denn ein Konzept für die Übergangszeit bis zu einer Nato-Mitgliedschaft – denn daß die schnell zustande kommt, glaubt ja eigentlich keiner?

Bis zu unserer Aufnahme sollten wir unsere politischen und militärischen Bindungen mit der Nato, soweit es geht, ausbauen.

Können Sie sich dabei auch gemeinsame deutsch-polnische Manöver in Polen vorstellen? Bundesverteidigungsminister Rühe hat diesen Vorschlag ja einmal als ersten Schritt zu einer Nato-Integration gemacht – der Vorschlag wurde in Polen abgelehnt. Damals war Wahlkampf, vielleicht hat sich jetzt ja etwas geändert?

Ich kann mir gemeinsame Manöver vorstellen. Es ist nur die Frage, ob die Rühe-Variante die günstigste Version ist. Solche Manöver müßten natürlich Teil eines größeren Ganzen sein, und da stellt sich die Frage, ob man das nicht gleich als polnisch-deutsch-französische Manöver machen sollte. Unser Drang in die Nato setzt gute Beziehungen zu unseren deutschen Nachbarn voraus. Es wäre aber ein Fehler, wenn wir diese Beziehungen im Vergleich zu anderen Nato- Ländern privilegieren würden. Es wär schädlich für Polen und für Deutschland, wenn andere glaubten, an der Peripherie der Nato entstünde eine besondere deutsche politisch-militärische Einflußszone. Es ist kein Geheimnis, daß ein Teil der Kommentatoren und Beobachter außerhalb Deutschlands, aber teilweise auch in Deutschland selbst heute schon der Ansicht sind, die Eile bei der Anerkennung Kroatiens war dem Versuch Deutschlands geschuldet, eine solche Einflußzone auf dem Balkan zu errichten. Ohne daß ich jetzt behaupten will, daß dem so sei – schon allein der Eindruck liegt weder im deutschen, noch im polnischen Interesse.

Polen enttäuscht zur Zeit gewisse Hoffnungen, die die Ukraine und besonders Weißrußland im Hinblick auf eine neutrale Pufferzone zwischen den Blöcken hegen. Für den weißrussischen Parlamentspräsidenten Schuschkjewitsch gehört Polen zu einer solchen Pufferzone unbedingt dazu.

Das ist ein Konzept, das in Polen als die sogennante „Zwischenmeerzone“ bekannt ist und seinerseits von Marschall Pilsudski entwickelt wurde – ein Bündnis der Nationen und Staaten zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer, das ein Gegengewicht gegen Deutschland auf der einen und Rußland auf der anderen Seite bilden sollte. Ich halte das für irreal: Es gibt keine ausreichende Interessengemeinschaft zwischen diesen Ländern. Für eine solche Sphäre gäbe es auch gar kein Zentrum. Die deutsche Mitteleuropa-Konzeption vor dem Ersten Weltkrieg hatte bei allem, was man ihr vorwerfen mag, eine reale Grundlage in der wirtschaftlichen und militärischen Macht Deutschlands, so wie die Idee von der Einheit der slawischen Welt ihr Zentrum in Moskau hatte. Pilsudski glaubte, Polen könne der Mittelpunkt der „Zwischenmeeridee“ werden, aber Polen war dazu zu schwach und ist es auch heute. Aber auch wenn wir das für irreal halten, müssen wir darauf achten, daß durch unsere Sicherheitspolitik andere Staaten keine sicherheitspolitischen Nachteile haben. Unser Nato-Beitritt kann nur Teil einer neuen Entwicklung sein. Wir dürfen nicht sagen: Die Visegradgruppe tritt bei und sonst keiner.

Existiert die Gruppe denn überhaupt noch? Die tschechische Republik geht immer deutlicher auf Distanz dazu, und auch Olechowski äußert sich auch immer zurückhaltender. Andererseits hört man auch von westeuropäischen Außenpolitikern unterderhand, daß Polen aufgrund seiner wirtschaftlichen Bedeutung bevorzugt werden sollte.

Trotz unserer Schwächen sorgt unsere geopolitische Lage schon dafür, daß es im Konfliktfall nicht gleichgültig ist, wer diesen Teil Europas kontrolliert, in dem Polen liegt. Weder Ungarn noch Tschechien haben diese strategische Bedeutung. Trotzdem sollte Polen nicht die anderen Visegrad-Mitglieder hinter sich lassen, unabhängig davon, welche Illusionen sich deren Regierungen machen, und unabhängig davon, welche Parteien in den einzelnen Hauptstädten die Regierung bilden.

Die Diskussion über die Nato- Erweiterung bewegt sich zur Zeit zwischen zwei Polen. Die einen sagen, wir müssen die Nato erweitern, um die Gemüter der russischen Expansionisten abzukühlen, die anderen behaupten, daß gerade eine Nato-Erweiterung denen noch mehr Wähler zutreiben würde.

Die erste Idee gefällt mir besser, aber ich denke, keine der beiden ist völlig richtig. Anders als die USA zur Zeit kann ich nicht verstehen, wieso ein Nato-Beitritt Polens oder anderer mittelosteuropäischer Länder in irgendeiner Weise die Sicherheit Rußlands bedroht, vorausgesetzt, man versteht unter Sicherheit die Existenz der Russischen Föderation in ihren international anerkannten Grenzen. Nur die sowjetische Propaganda hat das Märchen verbreitet, die Nato diene dazu, die Sowjetunion und ihre Verbündeten zu überfallen. Die Nato entstand zum Schutz vor der Sowjetunion und nicht, um Rußland niederzuwerfen. Wäre es anders, dann wäre doch jetzt die ideale Gelegenheit, in Rußland einzumarschieren, so schwach wie Rußland heute ist. Das Problem ist, daß ein Teil der russischen Politiker Sicherheit imperial versteht, als Recht Rußlands, in einer bestimmten Einflußzone zu dominieren. Kein Volk, und sei es noch so groß, hat ein Recht auf eine sich auf Hegemonie gründende Einflußzone. Schon allein Gespräche mit Moskau, ob Polen der Nato beitreten kann, sind eine Verbeugung vor dem russischen Imperialismus. Darüber können nur die polnische Regierung und die Regierungen der Nato-Mitgliedsländer verhandeln. Interview: Klaus Bachmann