Ein Jud' gehört ins Kaffeehaus

Das soeben eröffnete neue Jüdische Museum in Wien setzt auf Erinnerung statt auf Pflichtthemen  ■ Von Michael Bienert

Gleich zweimal wurde Österreich im November von seiner Vergangenheit eingeholt. Der Vizebürgermeister von Klagenfurt buchstabierte öffentlich das Wort „Nazi“ als: „Neu. Attraktiv. Zielstrebig. Ideenreich.“ Und in Wien wurde ein Jüdisches Museum eröffnet.

Daß sich Österreich im selben Augenblick vor den Tätern und vor den Opfern verneigt, dieses Kunststück ist schon ein Fortschritt. In der Aufarbeitung seiner Nazivergangenheit hinkt das Land etwa 20 Jahre hinter Deutschland her. An ein Eingeständnis der Mitschuld an den NS-Verbrechen und an eine Entschädigung der Opfer dachten bisher allenfalls ein paar Querulanten. In Übereinstimmung mit der Bevölkerungsmehrheit beruhigte sich die Politik mit der Lebenslüge der Zweiten Republik, wonach Österreich als das erste Opfer von Hitlers Expansionspolitik keine Mitverantwortung an den deutschen Greueltaten treffe. Langsam wird diese Position aufgegeben und die große Beteiligung von Österreich an der nationalsozialistischen Bewegung reflektiert. Und zum ersten Mal hat sich ein österreichischer Bundeskanzler bei den überlebenden Wiener Juden, die zur Museumseröffnung aus aller Welt eingeflogen worden waren, entschuldigt. 200.000 Juden lebten 1938, im Jahr des Anschlusses ans „Dritte Reich“, in Wien. Fünf Jahre später war die Stadt beinahe „judenrein“. Die Spuren der Opfer wurden gründlich verwischt. Wien ist mit vielerlei Gedenktafeln gespickt, aber Bestrebungen der Jüdischen Gemeinde, vernichtete religiöse Stätten wieder im Stadtbild kenntlich zu machen, stießen noch in den achtziger Jahren auf heftigen Widerstand. Gerade die Wiener, die so gern aus der Vergangenheit leben, verweigerten das Erinnern.

Die Eröffnungsausstellung des Jüdischen Museums mit dem Titel „Hier hat Teitelbaum gewohnt“ spiegelt diese Situation. 16 Teitelbaums verzeichnete das Wiener Adreßbuch von 1938. Im aktuellen Telefonbuch kommt der Name nicht mehr vor. Die Ausstellung reinszeniert den Verlust in kargen weißen Räumen, mit einem stark vergrößerten Stadtplan von 1938 als Fußboden.

Etwa 30 sorgfältig ausgewählte und kommentierte Ausstellungsobjekte stehen für je einen Aspekt des jüdischen Lebens in Wien. Ein Grenzstein erinnert an die verordnete Ghettobildung, eine Thorakrone an die religiöse Gemeinschaft. Eine Spendentafel dokumentiert das soziale Netz innerhalb der Jüdischen Gemeinde und ein Paket Säuglingswäsche von 1930 die Übertragung des Solidarprinzips auf die ganze Kommune Wien unter dem Sozialdemokraten Julius Tandler. Das Trikot eines österreichischen Ringermeisters steht für Bemühungen um Anerkennung durch die nichtjüdische Umwelt. Der Begleittext zitiert die Antwort des Ringers Ernst Stern auf die Frage, was er gedacht habe, ehe er eine scheinbar unabwendbare Niederlage doch noch in einen Sieg verwandelte: „Da hab ich mir gedacht: ein Jud' gehört ins Kaffeehaus.“

Porträts von Theodor Herzl und Arnold Schönberg, Arthur Schnitzlers ungültig gemachtes Offizierspatent sowie zwei separate Fotoausstellungen zu Freud und den Freudianern sind Beispiele für die intellektuellen Impulse, die um die Jahrhundertwende vom Wiener Judentum ausgingen. Mit vier Exponaten vertreten ist der Künstler Michael Powolny, ein Musterbeispiel für die österreichische Kunst der Selbstbehauptung durch Selbstaufgabe: In der Monarchie gestaltete er Kaffeetassen mit der Kaiserkrone, im austrofaschistichen Ständestaat den Sarkophag des ermordeten Kanzlers Dollfuß, in der Nazizeit den Reichsadler mit Hakenkreuz und nach dem Krieg die antifaschistische Gedenkmedaille „Niemals vergessen!“.

Die Ausstellung berücksichtigt sehr viele Aspekte des jüdischen Lebens in Wien, ohne das Publikum damit zu erschlagen. Sie zeigt klar, wo der Schwerpunkt der Museumsarbeit liegt, die mit einer Serie von Wechselausstellungen fortgesetzt wird: auf der Beziehung zwischen dem Judentum und seiner nichtjüdischen Umwelt. Erst an zweiter Stelle steht die museale Darstellung des jüdischen Kultus und jüdischer Bräuche. Dabei kann das neue Haus auf Bestände des weltweit ersten Jüdischen Museums zurückgreifen, das 1896 in Wien eröffnet und von den Nazis geschlossen wurde. Die einzigartige Sammlung von 5.000 Antisemitica soll 1995 gezeigt werden.

Bei der Eröffnungsausstellung jedenfalls war in den ersten Tagen der Andrang groß. Begünstigt wird der Publikumszustrom durch die feine Adresse: das Palais Eskeles, einige Jahre in jüdischem Besitz, liegt im allerheiligsten ersten Bezirk Wiens, auf halbem Weg zwischen Hofburg und Stephansdom. Vor dem Ersten Weltkrieg stellte der Kunsthändler Miethke im Erdgeschoß Klimt, Schiele, van Gogh und Picasso aus. Dort ist jetzt neben einer jüdischen Buchhandlung und einem Café wieder ein Galerieraum eingerichtet worden. Eingeweiht wurde er mit Heinz Macks Illustrationen zu Salomons Hohelied, gegenstandlosen Bildern von prismatischer Leuchtkraft, die auf Anregung des Museumsdirektors Julius H. Schoeps entstanden sind.

Schoeps legt Wert darauf, die jüdische Geschichte nicht bloß zu musealisieren, sondern ein Begegnungszentrum für Juden und Nichtjuden im Zentrum der österreichischen Hauptstadt zu etablieren. Die Museumsleitung ist den Wienern insofern entgegengekommen, als sie die Pflichtthemen Antisemitismus, Holocaust und Schuldverdrängung nicht in den Mittelpunkt der Eröffnung gestellt hat. Das erzeugt selbstverständlich Unbehagen bei manchen Opfern, ist aber eine nachvollziehbare Strategie, die von der Israelitischen Kultusgemeinde abgesegnet wurde.

Geistiger Mittelpunkt der Eröffnungsausstellung ist ein weißes, unbeschriebenes Blatt Papier, signiert von dem Wiener Künstler Georg Chaimowitz. Das ambivalente Zeichen steht für den Schmerz über das Ausgelöschte wie für die Hoffnung auf einen Neubeginn. „Skepsis ohne Resignation“ nennen die Ausstellungsmacher die Haltung, die daraus entsteht. Diese Haltung eint sie mit ihrem Gegenstand, dem Judentum, und sie erweist sich als tragfähig. So wie der zionistische Leitsatz, der über dem ganzen Unternehmen steht: Wer aufbaut, gewinnt dadurch seine Identität.

Jüdisches Museum der Stadt Wien, Dorotheengasse 11, A-1010 Wien. Geöffnet So-Fr 10-18 Uhr, Do bis 21 Uhr. Eintritt 50 ÖS, ermäßigt 25 ÖS. Ausstellungen: „Hier hat Teitelbaum gewohnt. Ein Gang durch das jüdische Wien in Raum und Zeit“ (bis 15. Mai); „Das Lied der Lieder“, Bilder von Heinz Mack (bis 13. Februar); „Wien IX, Berggasse 19“, Fotografien der Wohnung Sigmund Freuds von Edmund Engelman (bis 5. März); „Die Freudianer“, Fotografien vom 13. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß Luzern 1934 von Tim N. Gidal (bis 5. März)