"Das ist verbale Brandstifterei"

■ Interview mit dem hessischen Ministerpräsidenten Hans Eichel (SPD) über die Mitte Januar geplante Wahl des ersten deutschen Landesausländerbeirates, über Sinn und Zweck eines solchen Gremiums und ...

taz: Herr Eichel, Sie haben angekündigt, 1994 einen Landesausländerbeirat in Hessen zu installieren. Bisher gibt es diese umstrittenen Gremien zur Wahrung von Ausländerinteressen nur auf kommunaler Ebene. Mit welchen Kompetenzen wollen Sie einen solchen Beirat ausgestattet wissen?

Hans Eichel: Mit allen, die unterhalb des Wahlrechts für Ausländer möglich sind. Also Beratung, Mitwirkung, Anhörung in Ausschüssen, Aufsichtsräten und anderen Gremien. Und das heißt hier, wie bei den kommunalen Spitzenverbänden, in Gesetzgebungsverfahren, in allen denkbaren Bereichen.

Man kann bei den Ausländern, die auf Dauer hier leben, nicht mehr davon reden, daß es spezielle Belange der Migranten gebe. Sie sind die einheimische Bevölkerung wie die Deutschen auch, ob wir wollen oder nicht. Zu allem, was auf der Landesebene entschieden werden muß, wird auch der Landesausländerbeirat gehört werden. Genauso wie beispielsweise der Städtetag oder der Landkreistag heute involviert sind.

Aber reicht denn das? Ein Landesausländerbeirat wird nach dem, was Sie ausführen, genauso machtlos sein wie die kommunalen Vorläufer, die es seit rund zwanzig Jahren gibt. Echte politische Mitbestimmung ist das nicht. Wird der Alibicharakter der Ausländerbeiräte durch Ihr Vorhaben nicht auf höherer politischer Ebene zementiert?

Ich würde mir auch mehr Möglichkeiten wünschen. Leider ist das zur Zeit rechtlich und politisch nicht möglich. Wir haben im Bundesrat bisher die Zweidrittelmehrheit, die wir brauchen, um das Kommunalwahlrecht für alle Bürger Deutschlands durchzusetzen, nicht erreicht. Es kommt jetzt darauf an, wie ernst wir den Landesausländerbeirat nehmen. Allein seine Existenz bedeutet auf jeden Fall eine Aufwertung der Belange der ausländischen Bürger Hessens.

Gegenfrage: Sollte die Antwort jetzt sein, daß wir uns um die Ausländer und die Möglichkeit, daß sie sich selbst auf Landesebene artikulieren können, nicht mehr kümmern? Das, denke ich, ist absolut falsch. Ich verstehe die Einrichtung eines Landesausländerbeirates als Weg hin zur vollen Gleichberechtigung der Ausländer bei uns und nicht als Alibi. Die Ausländer, mit denen ich meistens zu tun habe, empfinden einen gesetzlich verordneten, landesweiten Ausländerbeirat als einen Fortschritt. Aber eben keinen ausreichenden.

Macht es Sie nicht stutzig, daß die Beteiligung zu kommunalen Ausländerbeiratswahlen kaum über die 20-Prozent-Marke hinausreicht?

Ich wäre da ein bißchen vorsichtig. Wie ist es denn eigentlich mit der Beteiligung der Wählerinnen und Wähler zu den Bürgermeister- Direktwahlen? Die Ausländerbeiräte hatten riesige Probleme, ihre Listen öffentlich sichtbar zu machen. Sie hatten keine Wahlkampfgelder. Bei den deutschen Direktwahlen wird wahnsinnig getrommelt, und wir kriegen in größeren Städten nicht mehr als fünfzig Prozent der Leute zur Wahlurne.

Einen Grund, unter diesen Umständen die Legitimation dieser Gremien anzuzweifeln, sehe ich nicht.

Mit der Verwirklichung des Maastrichter Abkommens werden Ausländer aus Ländern der Europäischen Union das kommunale Wahlrecht am Wohnort erhalten. 1995 soll es soweit sein. Macht das Ausländerbeiräte auf jeglicher Ebene nicht überflüssig?

Nein. Das Maastrichter Abkommen – und das finde ich außerordentlich bedauerlich – spaltet ganz hart die ausländischen Bürger in bevorteilte und benachteiligte Migranten. Zum Beispiel die größere Gruppe der Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien und die noch viel größere Gruppe der Türken bleiben ohne Wahlrecht.

Hessen hat in der Verfassungskommission in Bonn alles versucht, um diese Spaltung zu verhindern. Wir sind damit nicht durchgekommen. Das macht mich unzufrieden, aber wir müssen das als Tatsache hinnehmen. Wir werden Ausländer verschiedener rechtlicher Klassen haben. Infolgedessen sind Ausländerbeiräte wichtiger denn je.

Es ist bereits geplant, Mitte Januar zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte in Hessen und den über 100 kommunalen Beiräten in Verhandlungen über die gesetzlichen Grundlagen für eine Landesinstitution zu treten.

Sie haben vielfach gefordert, die Bundesrepublik müsse sich endlich als Einwanderungsland begreifen und die entsprechenden Konsequenzen daraus ziehen. Trotz Mölln und Solingen erklärt die bayerische CSU dagegen die „Überfremdung“ und das „Ausländerproblem“ zum erneuten Wahlkampfthema. Und Ihr Kollege Henning Voscherau schlägt Zuzugsbegrenzungen für Stadtteile mit hohem Migrantenanteil vor. Sind Sie dagegen nicht der einsame Rufer in der Wüste? Kann man mit Ihren Forderungen in diesem Land noch Wahlen gewinnen?

Ich weiß nicht, ob man mit den Themen Einwanderungsgesetz, doppelte Staatsbürgerschaft und Aufhebung des Blutrechts, für die ich mich sehr einsetze, Wahlen gewinnen kann. Das halte ich zunächst auch für zweitrangig. Es erschreckt mich festzustellen, daß die Versuchung in diesem Land – ob enormer sozialer Probleme – noch immer groß zu sein scheint, dort Sündenböcke zu suchen, wo es in Wahrheit keine gibt. Damit soll vom Versagen der jeweiligen Politiker abgelenkt werden. Ich kann Herrn Stoiber, der glaubt, gegen die europäische Idee wettern zu müssen, und Herrn Waigel vor billigen Parolen nur warnen. Man geht nicht auf Stimmenfang, indem man die Demokratie aufs Spiel setzt.

Die Kirchen möchte ich dringend bitten – in diesem Fall vor allem die katholische Kirche, weil die CSU ein besonderes Verhältnis zu ihr hat –, öffentlich dezidierte Stellung zu beziehen und sich ganz massiv gegen Äußerungen und Ideologien dieser Art zur Wehr zu setzen. Die katholische Kirche hat zur Migrantenfrage eine klare Einstellung, sie muß sie aber jetzt auch in die Debatte einbringen, damit solch gefährlicher Unfug verhindert wird. Denn das, was die CSU betreibt, ist verbale Brandstifterei. Die Leute müssen merken, daß niemand ungestraft zündeln darf. Wir müssen gesellschaftsübergreifend unter Beweis stellen, daß wir es mit dem Kampf gegen den Rechtsextremismus ernst meinen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Interview: Franco Foraci