Schlechtes Heroin rettete Leben

■ 28 Prozent weniger Drogentote in Bremen, 44 Prozent in Frankfurt

Zum ersten Mal ist die Zahl der Drogentoten in der Bundesrepublik gesunken - um ganze 20 Prozent. Die Stadt Bremen steht mit 28 Prozent weniger Drogentoten sogar noch besser da.

Woher der Rückgang kommt, das wagen die DrogenexpertInnen noch nicht zu sagen, sie sprechen von einem „ganzen Bündel von Ursachen“. Allen voran der geringe Reinheitsgrad des Heroins im vergangenen Jahr. Der lag, so Uwe Graubohm vom Bremer Drogenreferat, nur noch bei 10 Prozent im Vergleich zu 20 Prozent 1992. Das habe die Fälle von unabsichtlicher Überdosierung vermindert. Seit sechs Wochen beobachtet er jedoch wieder eine höhere Reinheit.

Nahe liegt die Erklärung „Mehr Methadon = weniger Tote“. Christel Zenker vom Bremer Institut für Prävention und Sozialmedizin jedoch: „Ich würde das gern glauben, aber wissenschaftlich nachgewiesen ist der Zusammenhang mit den Methadonprogrammen nicht.“ Sie hat in einer Studie über die Todesursachen bei Junkies herausgefunden, daß es vor allem bei den jungen Junkies, die also erst seit ein, zwei Jahren süchtig sind, zur tödlichen Überdosierung kommt. Und diese Junkies seien durch Methadon gar nicht zu erreichen gewesen: „Die meinen noch, sie hätten alles im Griff. Die bräuchten deshalb vor allem aufsuchende Sozialarbeit.“

Nur einer meint die Ursache für die sinkende Zahl der Drogentoten genau zu kennen - der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Eduard Lintner von der CSU: Seine Aufklärungskampagnen und mehr Therapieangebote hätten viele Drogensüchtige gerettet. Merkwürdig nur, daß ausgerechnet in Bayern die Zahl der Drogentoten gestiegen ist, in München gar um 20 Prozent. Städte hingegen mit weniger Repression gegen die Junkies, wie beispielsweise Nürnberg, nahmen am Trend teil.

Die ExpertInnen der Länder mit SPD- und SPD-Koalitions-Regierungen bezeichnen nämlich eine ganz andere Maßnahme als lebensrettend: die niedrigschwelligen Angebote. In Bremen versteht man darunter vor allem niedrigschwellige gesundheitliche Hilfen, zum Beispiel die seit einem Jahr erstmals mit zwei Ärzten ausgestattete medizinische Ambulanz in der Drogenberatungsstelle in der Bauernstraße. Oder, so Gert Schöfer vom Suchtreferat der Gesundheitssenatorin, die zwei neuen Krankenhausstationen für Drogenabhängige. Dort sei nicht nur kalter Entzug möglich, sondern auch eine methadongestützte Entgiftung.

Der Hamburger Drogenbeauftragte Horst Bossong kann da jedoch noch ganz anderes auffahren: Dort gibt es zum Beispiel eine Richtlinie, daß DrogenkonsumentInnen nicht verfolgt werden. Genausowenig wie Süchtige, die den Notarzt für einen Freund anrufen. Heino Stöver vom Bremer Verein Kommunale Drogenpolitik dagegen weiß von vielen Bremer Junkies, die noch nicht mal anonym einen Notarzt herbeizurufen wagen.

In Frankfurt gar sind im vergangenen Jahr 40 Prozent weniger Süchtige an einer Überdosierung oder einer Drogenfolgekrankheit wie Aids gestorben. Dort bemüht sich die Polizei zwar auch nach Kräften, die offene Szene zu zerschlagen, doch sind parallel niedrigschwellige Zentren eingerichtet worden: Treffs, in denen man Kaffee trinken, Wäsche waschen, duschen kann - was ganz anderes also als die neuen dezentralen Bremer Beratungsstellen. „Dort konnten sich die Abhängigen dann auch austauschen über den Reinheitsgrad des Heroins“, beschreibt der hessische Drogenreferent Lothar Dicks den Effekt auf die Drogentotenrate. Für Prostituierte wurde ein Bus eingesetzt, ein anderer fährt durchs Bahnhofsviertel, verteilt Spritzen ...

Schlechtes Heroin, mehr Methadonsubstituierte, niedrigschwellige medizinische und soziale Versorgung - neben diesem Bündel an Ursachen wird immer wieder die erhöhte Sensibilität für das Problem Drogentod genannt. Die Junkies passen besser aufeinander auf, die NotärztInnen achten besser auf die spezifischen Symptome, heißt es. Doch das erklärt wiederum nicht, warum in Bayern die Zahl der Drogentoten steigt und steigt. Christine Holch