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„Mit einem Schlag ging das Licht aus“

Ob der Anschlag auf das Maison de France und die Verantwortung Syriens und der DDR aufgeklärt werden können, hängt von der Aussagebereitschaft des Angeklagten ab  ■ Von Gerd Nowakowski

Ihre Mutter hatte die sechs Monate alte Yvonne gerade aus dem Wagen gehoben und in den Arm genommen. Das rettete das Leben des Babys. Denn nach der darauf folgenden Explosion war der Gang voller Gesteinsschutt und der Kinderwagen nur noch ein Knäuel aus Metall.

Yvonne ist heute elf Jahre alt und Nebenklägerin in dem morgen beginnenden Prozeß um die Stasi- Beteiligung beim Sprengstoffanschlag auf das Maison de France. Angeklagt ist Helmut Voigt, der Ex-Chef der für „Internationalen Terrorismus“ zuständigen Stasi- Abteilung. Der 51jährige soll Kenntnis von dem Attentat gehabt und den Sprengstoff an die Täter übergeben haben.

An jenem 25. August 1983 bekam das Maison de France, in dem das französische Konsulat untergebracht war, unerwünschten Besuch. Die Gruppe „Fasten für den Frieden“, die gegen die französischen Atomwaffenversuche im Pazifik protestierte, wollte dem Vizekonsul eine Petition überreichen. Das Konsulat verweigerte das Gespräch. Die Gruppe beriet im Gang vor dem Konsulat über das weitere Vorgehen, „als mit einem einem einzigen Schlag das Licht ausging und eine Detonation mich zu Boden warf“, berichtete später der evangelische Theologe Walter Böttcher. Ein Mitglied der Friedensgruppe, der Maler Michael Haritz, 26, wurde getötet und 22 Menschen schwer verletzt. Motiv und Täter für den Anschlag blieben lange unklar. Die Drahtzieher und Täter enthüllten sich erst nach dem Fall der Mauer: Die Gruppe um „Carlos“ – eigentlich: Iljitsch Ramirez Sanchez – wollte mit der Bombe auf das Maison de France und andere Attentate Druck auf die französischen Behörden ausüben, die in Paris festgenommene Carlos-Lebensgefährtin freizulassen. Zuvor war Carlos 1982 mit dem Überfall auf die Opec-Konferenz in Wien in die Schlagzeilen geraten. Seit 1979 hatte die Stasi Kontakt zu der Gruppe Carlos, die bis Mitte der achtziger Jahre in Budapest residierte. Sowohl Carlos als auch das deutsche Gruppenmitglied Johannes Weinrich hielten sich mehrere Male in Ost-Berlin auf. Das Mielke-Ministerium führte die Gruppe unter dem Stichwort „Separat“.

Die Stasi war auch informiert, als Weinrich im Sommer 1982 mit 24 Kilo Sprengstoff in Ost-Berlin eintraf. Zwar wurde Weinrich die brisante Fracht abgenommen, ein Jahr später aber wieder ausgehändigt. Ein weiteres Mitglied der Gruppe, der zwischenzeitlich im Libanon getötete Mustafa Al-Sibai, soll dann den Sprengstoff zum Maison de France gebracht haben. Die Stasi soll auch für die unbehelligte Ausreise der Täter gesorgt haben.

Oberstleutnant Helmut Voigt soll über den Verwendungszweck des Sprengstoffs unterrichtet gewesen sein. Wieviel freilich über die Hintergründe der Zusammenarbeit der Stasi mit Terrorgruppen und mit dem syrischen Geheimdienst bekannt wird, bleibt fraglich. Weinrich wie Carlos leben in Syrien. Alles wird daher davon abhängen, wie aussagewillig Voigt über die geheimdienstliche DDR- Realpolitik ist. Zumindest die Gruppe „Fasten für den Frieden“ aber wird ihre Meinung geändert haben. „Eine Bombe explodiert, weil Menschen nur noch so die Möglichkeit sehen, auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen“, hatten sie nach dem Attentat in einer Erklärung geschrieben.

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