Unternehmen Atlanta

Deutschlands Volleyballerinnen wollen bei Olympia 1996 Weltspitze sein / Brasilianerinnen gewinnen internationales Turnier  ■ Aus Bremen Jürgen Francke

Deutscher Frauen-Volleyball quo vadis? Diese Frage ist altbekannt und doch immer wieder neu. Bundestrainer Siegfried Köhler gibt es offen zu. „Das ist doch in jedem Jahr das gleiche. Beim Bremer Volleyball-Nationenturnier werden die Weichen gestellt, das Team für die Zukunft geformt.“

Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Des Bundestrainers Zukunft ist nebulös, ebenso wie die seiner Auswahl. Die Weltmeisterschaft in Brasilien steht vor der Tür, und dann leuchtet am Horizont Olympia 1996 in den USA. „Unternehmen Atlanta“ heißt dann auch etwas hochtrabend die neuerliche Bemühung des Deutschen Volleyballverbandes (DVV), auch die Frauenvertretung an die Weltspitze heranzuführen. Das Männerteam hat das beinahe schon geschafft, die Erfolge in der Weltliga bestätigen das. Aber die Männer haben bereits eine funktionierende Verbands-Infrastruktur im Rücken, davon können die Frauen im Augenblick nur träumen.

Somit war das zum 15. Mal ausgetragene Nationenturnier der Frauen in Bremen gleich in dreifacher Hinsicht von Bedeutung. Wie ist es um den Leistungsstand der deutschen Vertretung bestellt, können adäquate Arbeitsbedingungen für Köhler erreicht werden, und kann Bremen als wichtigster Standort für internationale Frauen-Vergleiche erhalten werden? Festzuhalten ist, daß nach dem freiwilligen Rücktritt der meisten (west-)deutschen Spielerinnen das Gros des Kaders aus ehemaligen DDR-Akteurinnen besteht. Bundestrainer Köhler weint den abgewanderten Spielerinnen nach eigener Aussage keine Träne nach, gleichwohl weiß auch er, daß sein autoritärer Führungsstil und die fehlende finanzielle Absicherung durch den DVV die Gründe für den Rückzug waren.

Bremen brachte in spielerischer Hinsicht folgende Erkenntnisse: Gegen das drittklassige Team aus Australien gab es einen glanzlosen 3:0-Sieg. Gegen Kuba wurde in der Hinrunde sogar mit 3:1 gewonnen. Leider bedeutet das nicht viel. Die Turnier-Siegerinnen der letzten drei Jahre und Goldmedaillengewinnerinnen von Barcelona waren mit ihrem Nachwuchs angereist. Die Stars wie Mireya Luis oder Regla Torres weilten zur gleichen Zeit in Fernost. Sie waren dem Ruf eines japanischen Konzerns gefolgt, um für viel Geld drei Monate lang durch Asien zu touren.

Im Halbfinale gab es für die Deutschen dann eine deklassierende 0:3-Niederlage gegen die späteren Finalistinnen aus Rußland, und auch das Spiel um Platz drei wurde in drei Sätzen gegen Kuba verloren. Es waren aber Lichtblicke zu beobachten. Susanne Lahme, die noch am Donnerstag für ihren italienischen Arbeitgeber antreten mußte und schon am Final-Sonntag wieder jenseits der Alpen schmetterte, entpuppte sich als der deutsche Star. In den beiden Spielen gegen Kuba und Rußland war sie in puncto Übersicht und Blockverhalten überragend auf deutscher Seite. Zuspielerin Ines Pianka wurde zum Abschluß des Turniers in der Computerwertung sogar zur Aufbau-Akteurin der Veranstaltung gekürt. Mit Christina Schulz und Ute Steppin bewiesen zwei weitere hochgewachsene Mittelblockerinnen aufsteigende Tendenz. Der besondere Witz am Rande: Frau Steppin konnte erst mit zweitägiger Verspätung anreisen. Sie fand keinen Babysitter für ihr kleines Kind. Soweit geht die Professionalität im Frauenbereich des DVV also noch nicht. Mit Sylvia Roll, Hanka Pachale und Jaqueline Riedel präsentierten sich drei hoffnungsvolle Talente.

Der Knaller und souveräne 3:0-Finalsieger über Rußland kam aus Brasilien. Was diese Volleyball-Profis (Jahresgehalt trotz Wirtschaftskrise am Zuckerhut: 60.000 Dollar) an Spielkunst zeigten, war phänomenal. Konsequent brillierten die durchschnittlich knapp 1,90 Meter großen Frauen mit Hinterfeldangriffen, Sprungaufgaben und perfekten Netzkombinationen. Der Aufbauspielerin Fernanda Venturini bei ihrer Arbeit zuzusehen, war eine Augenweide für sich. Das war Weltklasse in höchster Perfektion: athletisch, durchdacht und ultra-cool.

Was bleibt als Fazit dieser wichtigsten und nach einhelliger Meinung bestorganisierten Frauenvolleyball-Veranstaltung in Deutschland? Wieder einmal die Erkenntnis, daß Geld und Professionalismus in Hinblick auf die Weltspitze auch in dieser Sportart unabdingbar geworden sind. Es geht um Sponsoren, Werbeverträge, Fernseh-Sendeminuten und globale Terminabsprachen. Nur so kann ein Weltklasse-Niveau an der Spitze der Leistungspyramide erhalten und verbessert werden.

Für den DVV bedeutet das der Meinung des Bundestrainers nach: Der Trainingsumfang seiner Spielerinnen muß auf mindestens 25 Wochenstunden angehoben werden. Es müssen fünf Monate im Jahr für die Nationalauswahl neben dem Ligenbetrieb freigehalten werden. Darauf angesprochen, lächelt Köhler gequält und hält es mit Franz Beckenbauer: „Schau'n mer mal. Ich habe einen Vertrag bis 1996. Nach dem ,Unternehmen Atlanta‘ sehen wir weiter.“