Sanssouci
: Nachschlag

■ Magma spielt Martin Walsers "Der schwarze Schwan"

Die Schuld heftet sich schwarz an die Finger. Schwarz wie der Ruß aus den Kaminen, vor denen die Kinder Rudi und Hedi spielten. Rudi stand vor dem Bahngleis, sein Daumen, nach links gedreht, zeigte zum Kamin. Daumen nach rechts bedeutete Aufschub. Ein schwarz uniformierter Mann begegnete ihnen, und nach dem „SS“-Zeichen an seiner Uniform gefragt, sagte er, es bedeute „Schwarzer Schwan“. Jahre später entdeckt Rudi einen Brief: Es ist der Tagesbefehl für ein Konzentrationslager – unterzeichnet von Rudis Vater, Rudolf Goothain. Bei Goothain senior, dem Chirurg, überziehen die Rußspuren der Schuld nicht nur die Finger. Sie reichen hinauf bis über den Ellenbogen. Wie bei seinen Kollegen Leibnitz, Hedis Vater und Chefarzt der Nervenklinik, in der Rudi später landet. Die Vernichtungsbestien weisen die Schuld von sich, und fortan steigert sich der Sohn in die Schuld des Vaters hinein. Am Ende zerreißt Rudi an den moralischen Verstrickungen und wirft sein junges Leben fort. Er erschießt sich, um zumindest einen Nachkommen der Mörder auszulöschen, einen Nachkommen, der, wie er glaubt, genauso wie der Vater gehandelt hätte.

Die Stuttgarter Uraufführung von Martin Walsers Zeitstück „Der schwarze Schwan“ im Jahr 1964 endete mit frenetischem Beifall des Publikums. Wie Ibsen stellt Walser seinen Helden Rudi in einen Sumpf von Lebenslügen. Ähnlich wie Shakespeares Hamlet, der sich ungesühnter Schuld annimmt und dessen moralische Qualitäten als Wahnsinn gedeutet werden, findet Rudi keinen anderen Weg für sich als den Tod. Der Rückgriff Walsers auf einen tragischen Helden scheitert dennoch. Rudis Weg ist nämlich, angesichts der staatlich organisierten und kollektiv verdrängten Massenvernichtung, gegen ihn vorentschieden. Was Walser aber mit einem Ozean von Metaphern zeigt, ist die Banalität des Terrors, der kleine Aufwand, mit dem die Mörder Goothain und Leibnitz noch schlafen können.

Foto: Marcus Lieberenz

Die Laientheatergruppe Magma (bisher bekannt als „theater- club spandau“) hat das Drama ausgegraben und es in der konventionellen und leicht holprigen Inszenierung von Hanno Nackfort und Florian Ellmes eigentlich nicht wirklich zum Leben erweckt. Nur im Programmheft wird die Frage gestellt, ob sich Parallelen ziehen lassen von den jüdischen Geschäften 1938 zu den Wohnheimen der Asylbewerber heute, in der Aufführung selbst nicht. Mit dem Stück richtet sich die Magma-Gruppe jedoch ohnehin an Zuschauer, die gewiß keine Ausländer anzünden — ein Aufrichten an eigenen Idealen, keine Aufklärung über Probleme der aktuellen Zeitgeschichte. Fernando Offermann

Noch heute bis 16.1. und von 20.–23.1., 20 Uhr, KulturBrauerei (Galerie im Pferdestall), Schönhauser Allee 36/39 (Eingang Knaack-/Ecke Dimitroffstraße, Prenzlauer Berg.