Der Massenmörder im Low-Budget-Film, etc.
: Eine gewisse Härte des Realen

■ Jörg Buttgereit und Franz Rodenkirchen zur Entstehung von „Schramm“

In euren Filmen treten nur Laien auf. Habt ihr keine Filmschauspieler angesprochen?

Buttgereit: Das hat wenig Zweck, weil du diese Leute mit solchen Filmen nicht kriegst. Wir haben es jedenfalls nie probiert, nur beim „Todesking“ hatten wir Michael Krause, der Theatererfahrung besaß. Aber den mußten wir ständig runtertrimmen, weil er mit seiner Bühnenkunst in einem totalen Kontrast zu den anderen Darstellern stand, die da durch den Film wandeln. Ein Schauspieler hätte sich in „Schramm“ gar nicht genug austoben dürfen.

Es gibt Michael Rooker, der in „Henry – Portrait of a Serial Killer“ den Massenmörder spielte und danach bei Oliver Stones „JFK“-Epos mitwirkte.

Buttgereit: Wir hatten zum Beispiel an Udo Kier gedacht, der ja auch bei Schlingensief mitspielt. Nur waren wir nicht sicher, ob der uns nicht auf der Nase rumtanzt. Bei der Arbeit mit Laien kannst du dir dagegen sicher sein, daß die wirklich hinter dem Film stehen, weil sie eben nicht bezahlt werden. Wir verballern gerade mal 40.000 D-Mark, während fürs kleine Fernsehspiel schon 500.000 Mark zur Verfügung stehen.

Auch ihr hättet nach dem essayistischen „Todesking“ fürs Fernsehen produzieren können.

Buttgereit: In Hof hat mir der Regisseur von „Die Tödliche Maria“, Tom Tykwer, eine Frau Jessen vom kleinen Fernsehspiel vorgestellt. Die meinte, ich solle ihr unbedingt den Film zukommen lassen. Als ich ihr dann eine Kopie geschickt habe, hat sie sehr arrogant geantwortet: Sie hätte den Film gesehen, wäre aber letztendlich enttäuscht, weil diese ewigen Grenzüberschreitungen sie gelangweilt hätten. Dann hat sie noch den Satz nachgeschoben, daß sie aber nicht repräsentativ sei, schließlich habe man ja auch sehr viel Hardcore im kleinen Fernsehspiel. Das ist lächerlich, um Grenzüberschreitungen geht es in dem Film überhaupt nicht.

Rodenkirchen: Und uns dann zu unterstellen, wir würden nur Grenzen suchen, während alles andere uninteressant wird. Was wollen die denn – daß wir neunzig Minuten lang Menschen mit Kettensägen vierteilen?

Buttgereit: Laß mal, das machen andere schon ganz gut.

Grenzüberschreitungen werden als Tabubruch verstanden, weil sie anschaulich bleiben. „Schramm“ ist die Studie einer funktionierenden Person, die arbeitet und dann wahllos Menschen umbringt. Da stellen sich Fragen nach der Schuld.

Buttgereit: Diese Fragen behält „Schramm“ für sich, das ist ein durchgängiges Motiv meiner Filme. Die Leute kommen mit ihrem Doppelleben gut klar.

Rodenkirchen: Deswegen haben wir keine zwanzig Morde, nicht mal fünf. Das ist nicht das Wichtigste. Was passiert, wenn du einen Film mit Mordszenen spickst? Du hast Wiederholungen, das sind retardierende Momente, die bestenfalls die individuellen Situationen ein bißchen abändern.

Buttgereit: Wir sind an dem Punkt angelangt, wo wir die Elemente weglassen, durch die „Henry“ oder „Schweigen der Lämmer“ bekannt geworden sind.

Rodenkirchen: Da wird nur die oberflächlichste Ebene verarbeitet, der archetypische Serienkiller heißt plötzlich Hannibal Lector, der aber absolut kein Attribut eines tatsächlichen Serienmörders besitzt. Außerdem bricht er als quasi mephistophelische Überfigur des Bösen völlig aus dem eigentlichen Schematismus des Massenmörders heraus. Diese Leute sind nicht so mächtig, im Gegenteil, die haben ein Machtdefizit. „Das Böse“ wird nur als Metapher angeführt, wobei sich die meisten Filme diese Leute aneignen und umformen. Da wird so viel hineininterpretiert, daß den wirklichen Tätern bei der Aufmerksamkeit, die ihnen die Medien schenken, ihre eigenen Taten immer unbegreiflicher werden.

Buttgereit: Mich interessiert, daß die Mörder keine Kontrolle mehr über sich haben. Das ist faszinierend, weil Schramm sonst ständig unter Zwang handelt – selbst, wenn er die Gummipuppe auswäscht.

Kann es überhaupt ein breites Feedback geben, wenn der Film nur mit zwei Kopien anläuft?

Buttgereit: Wir haben nicht die Finanzen, um den Film überall anlaufen zu lassen. Warum soll man nicht Stadt für Stadt den Film starten? Da bekommt man jedenfalls alles mit.

Aber ihr werdet die Presse und Öffentlichkeit bekommen, die ihr durch das Verbot und die Indizierung von „Nekromantik II“ angelockt habt. Herrscht jetzt eine bestimmte Erwartungshaltung?

Buttgereit: Nein, denn wir arbeiten viel unscheinbarer als große Filmproduktionen. Aber es passiert immer wieder, daß wir mit den Filmen auf Festivals fahren, und dort entsteht dann ein Riesenrummel. Als wir mit „Todesking“ und „Nekromantik I“ in Norwegen waren, saßen bereits 700 Zuschauer in der Vorstellung, als die Polizei ins Kino kam und wegen der Darstellung von Nekrophilie, die dort verboten ist, den Film beschlagnahmen wollte. Die Vorstellung fand nicht statt, aber am nächsten Tag waren die Zeitungen mit der Geschichte voll – es gab mehr Presse, als wenn der Film gelaufen wäre. Grundsätzlich sind die Leute im Ausland aufgeschlossener, in Deutschland hat man Probleme mit der Darstellung von Tod.

Rodenkirchen: Es war meistens die eher scherzhafte Reaktion „ah, jetzt drehen sie Nekromantik III“. Das ärgert mich, weil es zu kurz gedacht ist.

Was andererseits mit Filmen wie „Helloween“, „Nightmare on Elm Street“ oder „Return of the Living Dead“ passiert ist.

Buttgereit: Selbst diese Strategie würde in einer Tradition liegen, die unsere Fanklientel nicht übelnehmen würde. „Schramm“ wurde bei der Premiere gut aufgenommen, die Frage nach „Nekromantik III“ kam trotzdem.

Gibt es dafür noch einen Markt, seit unabhängig produzierte Gore-Filme im Mainstream aufgehen: Freddie Kruger als Kinderheld, „Braindead“ für Studenten, und Massenmörder als Trendsetter in Hollywood?

Rodenkirchen: Die Sachen haben sich verlagert: „Reservoir Dogs“ und „Bad Lieutenant“ arbeiten mit Bedürfnissen, die den Splatter-Film abgelöst haben. Das liegt daran, daß die Leute die immer gleichen Formeln, die selbst ihre Schlußfolgerungen mitliefern, nicht mehr ertragen können. Es wird nach einer gewissen Härte des Realen gesucht, die gleichzeitig in der Lage ist, dich einzufangen und dir andere Zugänge eröffnet.

Weswegen Filme wie „Mann beißt Hund“ halbdokumentarisch arbeiten und umgekehrt auch „Beruf: Neonazi“ mit Elementen von Reality-TV operiert?

Rodenkirchen: Weil man sich daran gewöhnt hat, daß die Erfahrung von Realität über Bilder läuft. Es besteht das Bedürfnis nach einem Rahmen, der zeigt, daß hier etwas entschleiert wird. Paradoxerweise benutzt du das Medium Film, um wiederum andere Filme in ihrer Realitätsnähe zu übertreffen. Du brauchst Bilder, die noch nicht ausgebeutet sind und die man trotzdem wiedererkennt. Bilder, die nicht mit metaphorischen Botschaften beladen sind – so wie eben die Szene mit dem Auswaschen der Gummipuppe. Du mußt es am Ende nur so verpacken, daß es über Moral zu entschuldigen ist.

Dann wird „Beruf: Neonazi“ nicht wegen der Form der Darstellung, sondern wegen des unhinterfragten Darstellens von Wirklichkeit zensiert?

Buttgereit: Wobei gerade in dieser Art von Darstellung wieder deutlich wird, daß man einen Film sieht.

Interview: Harald Fricke