Maßloser Selbsthaß im eigenen Land

■ Assi Dayan zeigt in "Life According to Agfa (Nachtaufnahmen)" das Ende des zionistischen Traums

„Der Zionismus ist die nervöseste Bewegung der Menschengeschichte“, warnt die Tel Aviver Barbesitzerin, mütterlich besorgt, ihre palästinensische Küchenkraft, die gerade auf dem Weg zur Arbeit von „nervösen“ Soldaten offensichtlich schikaniert und verdroschen worden ist. Allerdings hätte auch sie Anlaß zur Sorge über ihr eigen Heim und Herd: Am Ende des Films lassen israelische Soldaten ein Schlachtfeld mitten in Tel Aviv zurück. Der entartete Beschützer des zionistischen Traums – die Besatzungsmilitärmaschinerie – frißt seine eigenen Schützlinge – die zivile israelische Gesellschaft – auf.

„Life According to Agfa“ („Das Leben nach Agfa“) ist eine düstere Parabel der politischen Verhältnisse in Israel vor dem Friedensabkommen mit der PLO. Filmemacher Assi Dayan zeichnet mittels etlicher Erzählstränge unterschiedliche Facetten der israelischen Gesellschaft auf – anhand von Typen, die dann doch zu ganzen Figuren werden. Verknüpft werden die unterschiedlichen Geschichten durch die Zusammenkunft in der Barbie-Bar, die einen Mikrokosmos der israelischen Gesellschaft darstellt: „Hier gibt es keine Ecken, in denen man allein bleibt“, hier versuchen die Menschen ihre „Sanity“ zu bewahren.

Die zivile Gesellschaft erscheint brüchig, neurotisch, immer am Rande des Zusammenbruchs. Für Dalia, die alternde Barbesitzerin, geht das Leben weiter, auch wenn sie, enttäuscht und betrogen, sich mit grenzdebilen schwedischen UNO-Soldaten vertrösten muß; die drogenabhängige Kellnerin wird ihren Traum von New York, Mekka der billigen Drogen beziehungsweise Inbegriff des Metropolitan-Lebens, erfüllen oder auch nicht; der glücklose Polizist wird seine Freundin immer wieder betrügen und alle Frauen, nachdem er im Zeitraffer einen Orgasmus bekommen hat, danach fragen, ob sie auch gekommen sind, um dann ein ridiküles israelisches Heldenlied vor sich hinzusingen. Geschichten aus der einzigen Großstadt Israels, dem weltlichen und alltäglichen Tel Aviv.

In diese Stadt am Meer, die gegen Anfang des Jahrhunderts gegründet worden ist und die unterschiedlichen historischen Altlasten von Städten wie Jerusalem scheinbar nicht tragen muß, flüchteten viele der „aufgeklärten“ Israelis, die gegen die Besatzung opponierten und, in ihrer Ohnmacht, sich der Realität verweigerten durch die Beschäftigung mit „aufgeklärten“ Dingen, mit den Problemen eines jeden Großstadtbürgers. Der Filmemacher zeichnet ein Bild Tel Avivs, dargestellt im parabelhaften Mikrokosmos der Bar, als eine Stadt, die sich zu einer singulären Enklave entwickelt hat, die sich abkapselt und deren Lebensrhythmus sich im Sinne von westlicher Urbanität bewußt oder unbewußt extrem vom israelischen Umfeld absetzt.

Ein parabelhafter Mikrokosmos

Das Publikum jener Bar ist durch bruchstückhafte Sozialkontakte miteinander verbunden und hält durch eine Art unausgesprochene Übereinkunft das Bild einer trügerischen urbanen Normalität aufrecht, jeder auf der Suche nach seinem kleinen persönlichen Glück. Das Trügerische dieser Atmosphäre offenbart sich aber schon in dem den ganzen Film leitmotivisch durchziehenden Tabletten- und Drogenkonsum.

Eingeholt von der israelischen Realität werden die Protagonisten durch das Eintreffen zweier Gruppen: drei Angehörige einer Art Drogenmafia auf der einen Seite und auf der anderen fünf vom Alkohol mehr und mehr enthemmte Soldaten. Die Dealer erscheinen als Konkretisierung der sephardischen Underdogs, die unterentwickelten arabischen Ländern entstammen und nie den Anschluß an die industrialisierte Gesellschaft fanden. Um ihren maßlosen Selbsthaß zu ertragen, lenken sie ihn auf die gesellschaftlich einzig noch ihnen unterlegenen und dennoch so ähnlichen Palästinenser.

Die zweite, weit gefährlichere Gruppe stellen die Soldaten dar, die ihren Freibrief in den besetzten Gebieten auch auf die israelische Gesellschaft anwenden. Für sie gelten nur die eigenen Gesetze, denen sich die zivile Gesellschaft unterzuordnen hat. Als sie feststellen, daß ihr faschistoides Verhalten nicht geduldet wird, verlassen sie das Lokal, um wieder zurückzukehren und mit den Gesetzen des Krieges in einem Gemetzel die noch im Lokal Verbliebenen als jene Repräsentanten einer verweichlichten, individualisierten und von ihnen im Grunde verachteten Gesellschaft auszulöschen.

Dayans Schwarzweiß-Film operiert mit Erzählmustern des film noir auf ähnliche Weise, wie auch beispielsweise Jim Jarmush seine Filme auf diese Traditon aufgebaut hat, das heißt, er versucht mit lakonischer Distanz die Zwangsläufigkeit der Handlungsentwicklung ohne psychologische Erklärungsversuche darzustellen. Durch die pseudo-existenzialistischen Songs von Leonard Cohen, die permanent die Handlung begleiten, verdichtet sich die Atmosphäre zu einer zermürbenden Endzeitstimmung.

Die einzig wirklich über die Gesamtsituation reflektierende Gestalt ist der Barsänger (Danny Litani), der versucht, über seine persönliche Situation hinaus zu blicken und über seine politischen Lieder Einfluß zu nehmen. Doch auch er muß der Gewalt der Gewehre gegenüber versagen. Die Situation scheint keine Möglichkeit der Veränderung zuzulassen. Tsafrir Cohen

„Life According to Agfa (Nachtaufnahmen)“. Regie & Drehbuch: Assi Dayan. Mit Gila Almagor, Irit Frank, u.a. Israel 1992.