The Invincible Man

Hardcore als Körper: Der Basketballprofi und Rap-Star Shaquille O'Neal löst die „Three Mikes“ Michael Jackson, Michael Jordan und Mike Tyson als Identifikationsfigur des schwarzen Amerika ab  ■ Von Dietrich Roeschmann

Slam! Groß, breit, präsent im aggressivsten Sinn: So ballt sich die Pointe des Videos zu Shaquille O'Neals „(I Know I Got) Skillz“ gleich zu Beginn in einem Sekundenbruchteil zusammen. Es ist der gewaltige Sprung, mit dem er aus dem Laderaum eines Trucks auf die dekorativ ausgeleuchtete Ghetto-Szenerie setzt. Boom! Im gleichen Moment beginnt das Stück. Riesige Körper wippen, große Arme fliegen behäbig durch die Luft, halb im gestischen Vokabular des Rap, halb in Andeutung des Dunks, mit dem Shaq im richtigen Leben reihenweise gegnerische Basketballkörbe zum Einsturz bringt.

Shaquille O'Neal ist Profibasketballer. Für sieben Jahre und 40 Millionen Dollar Gage bei den Orlando Magic/Fl. verpflichtet, hatte er beim amerikanischen Publikum schon nach seiner ersten Profisaison eine Art Heldenstatus. Noch bevor er überhaupt in der National Basketball Association (NBA) mitspielte, bot ihm das Sportswear-Unternehmen Reebok einen mehrjährigen Werbevertrag über 20 Millionen US-Dollar an. Das Unternehmen rechnet für den Verkauf von seinen Shaq-Produkten allein für 1994 mit einem Umsatz von mehr als 100 Millionen Dollar. Andere Verträge mit Firmen wie Pepsi oder dem Sportartikelhersteller Spalding brachten dem 21jährigen O'Neal in seinem ersten NBA-Jahr auch noch über acht Millionen US-Dollar ein.

Bemerkenswert ist dabei vor allem die erstaunlich kurze Inkubationszeit, in der die Shaq-Euphorie weit über die Grenzen des Basketballfelds hinaus um sich griff. Shaq O'Neal scheint nicht nur als NBA- Spieler und „Rookie Of The Year“ eine Position besetzt zu haben, die, umfassender als je zuvor, eine hautfarben- und schichtenübergreifende Identifikation zuläßt. Er ist dabei, das gleiche auch als Rapper zu schaffen.

Das läßt vor allem deswegen aufmerken, weil Basketball – wie keine andere Sportart in den USA – von einer Ästhetik geprägt ist, die sich eng an die Codes der afro- amerikanischen (Sub-)Kultur knüpft. Lange bevor sich Basketball (und seine Jugendbonus-Variante Streetball) als „In-Sportarten der neunziger Jahre“ (so das Magazin Sports) in deutschen TV-Magazinen wie dem ZDF-„Fernsehgarten“ als massenkonsensfähig erwiesen, galt der maschendrahtumzäunte Court um die Ecke als Ort der Sehnsüchte schwarzer Kids. Außer Musik und Sport schien denen kaum ein Weg aus dem Ghetto offenzustehen.

Jenseits dieses sozialen Kontextes führte ihnen der Erfolg von Basketballprofis wie Michael Jordan, „Magic“ Johnson oder Charles Barkley einerseits die Möglichkeit von Anerkennung in der weißen Welt vor Augen; er zeigte ihnen aber auch, wie man – parallel zu den Rappern im HipHop – dennoch glaubwürdig bleiben konnte. Jeder Sprung, jeder Slam, mit dem der Gegner überrumpelt wurde, ließ sich als Demonstration eines schwarzen Selbstbewußtseins entziffern, das im Gegensatz zum Streetlife nicht mit dem Risiko für Leib und Leben bezahlt werden mußte.

Mit Michael Jordans Rücktritt als Profibasketballer im vergangenen Oktober verabschiedete sich jedoch auf gewisse Weise das spezialisierte, arbeitsteilige Modell der schwarzen Integrationsfigur. Jordan machte als letzter das Licht aus, mit dem die „Three Mikes“ – Michael Jackson, Mike Tyson und er selbst – schwarzen und weißen Kids in den achtziger Jahren den Weg aus dem Kinderzimmer geleuchtet hatte.

Es wäre nun übertrieben zu glauben, daß Shaq O'Neal diese Positionen komplett besetzen könnte. Dennoch zeigt sich nicht nur am Aufwand, mit dem er im letzten Jahr durch Werbung und Medien aufgebaut wurde, daß seine Rolle weit über die eines Sport-Idols hinausweist. Inzwischen signiert er (mit 21!) nachmittageweise seine gerade erschienene Autobiographie „Shaq Attaq!“, dunkt und slamt in Friedkins Basketball-Film „Blue Chips“ und ist seit Oktober mit einem (seit kurzem als Import erhältlichen) eigenen HipHop-Album auf dem Markt: „Shaq Diesel“.

Die erste Single dieses Albums („What's Up, Doc?“) verkaufte sich bereits über eine halbe Million Mal. Es wäre allerdings zu überlegen, ob sich der Erfolg des Stücks wirklich den etwas hohlmäuligen Lyrics verdankt, mit denen O'Neal sich hier in die verschlungene Hochgeschwindigkeitspoesie der New-York-Rapper „Fu-Schnickens“ einschaltet. Das Konzept von „Shaq Diesel“ spricht jedenfalls eher dagegen. Trotz der illustren Produzentenriege, die sich hinter den Jeep- und Gangsta-Beats des Albums verbirgt – unter anderem Erick Sermon, Def Jef und A Tribe Called Quest –, schmecken Stücke wie „(I Know I Got) Skillz“ oder „I'm Outstanding“ schon nach dem ersten Hören wie der Soundtrack zu einem Reebok- Spot: funktional und tendenziell fade.

Der Erfolg hat andere Gründe: Der Raum, in dem sich Shaq O'Neal bewegt, ist ein konstruierter Raum, der alle momentan gültigen Glaubwürdigkeiten zu beherbergen scheint.

aß O'Neal auf seiner Platte nicht von sozialen Erfahrungen, sondern von Dunks und Rebounds erzählt, verwundert in diesem Zusammenhang genauso wenig wie die moderate Selbstverständlichkeit, mit der er sich beim Zeichenrepertoire des HipHop bedient. Und anders als bei vergleichbaren, auf Massenakzeptanz hin konzipierten Produkten des Pop-Marktes, bleibt O'Neals Credibility sogar trotz seiner heftigen Abneigung gegen die „Fuck“- und „Suck“- Sprache des HipHop (Shaq: „Solche Dinge sollte man nicht sagen“) grundsätzlich unversehrt. Shaq selbst begründet seinen derzeitigen Erfolg in der HipHop- Szene konsequent mit seiner Rolle als Integrationsfigur: „Ich unterscheide mich von den meisten Rappern wahrscheinlich dadurch, daß ich zwei verschiedene Sorten von Publikum erreiche – die NBA- Fans und die Hardcore-Rap-Fans, die nur sehen wollen, worüber ich rede.“

Sie wollen sehen, worüber er redet. In der Tat scheint Shaq O'Neal dem HipHop nicht in erster Linie die Stimme, sondern seinen Körper zu leihen. Auch sein häufiges Erscheinen in Sportmagazinen, HipHop-Videos und -Radioshows, in Werbespots und nicht zuletzt auf dem Basketball-Court bleibt immer auffallend eng an die physische Präsenz seines Körpers gebunden. Drei Zentner schwer, 2,16m groß und mit dem klassischen Macho-Insignum schwarzer Sporthelden ausgestattet – dem kahlrasierten bald head –, vermittelt allein seine Erscheinung eine auf Medienformat zugeschnittene Imposanz, die von der HipHop- Szene nicht von ungefähr sehr ernst genommen wird.

Der Körper und die Gewalt der Dunks, mit der O'Neal die Bälle in den Korb tunkt, erweisen sich hier als symbolischer Triumph des Invincible Man über den Invisible Man (den Ralph Ellison als soziales Schicksal der amerikanischen Schwarzen beschrieben hat).

Und das dürfte entscheidend sein. „Unsichtbarkeit“ war für Afroamerikaner immer ein zentrales Risiko der Integration. Der Anspruch des Mainstream, im gemeinsamen Tanz oder Sport alle sozialen Barrieren aufzuheben, kehrte zugleich auch die spezifischen Bedingungen schwarzer Indentität unter den Tisch.

Shaquille O'Neal löst das Problem des Ausverkaufs durch eine visuelle Offensive. Seine Schatten fallen überallhin, egal, ob er vor dem gegnerischen Korb oder auf einer Bühne steht. Weit über seine Möglichkeiten als Rapper hinaus stellt er der HipHop-Welt eine Hardcore-Ästhetik bereit, die den schwarzen männlichen Körper als Ort der Herrschaft instand setzt, aber dennoch ohne die genretypischen Accessoires der äußeren Bewaffnung auskommt.

Daß der weiße Mainstream seine in privaten Rückzugsgefechten preisgegebene Sehnsucht nach Rebellion an den gleichen Körper heftet, erstaunt dabei kaum. Gerade in der deutschen HipHop-Rezeption zeigt sich ja immer wieder, wie die Aneignung schwarzer Kultur auch heute noch als Kolonisierung funktioniert.

Inwieweit O'Neal diese Gratwanderung zwischen Massenkonsens und Credibility letztendlich gelingen wird, hängt weniger von seinen Ambitionen als Rapper ab als davon, wie weit er sich als Identifikationsfigur und Bannerträger schwarzer Identität auch tatsächlich den Anforderungen seiner unterschiedlichen Fan-Communities gewachsen zeigt.

Shaquille O'Neill: „Shaq Diesel“ (Jive). Hierzulande nur als Import erhältlich: über den Ariola-Importservice ARIS in Gütersloh