Alltag mit dem Krieg

■ Bremer nebenan: Ivan aus Kroatien wird immer wieder vom Krieg eingeholt

Ivan sehnt sich nach dem Sommer. Dann werden vor dem kleinen Cafe im Kulturladen Brodelpott Tische draußen stehen, und es werden mehr Menschen kommen als jetzt. Es wird mehr Arbeit geben für ihn und nicht soviel Zeit zum Nachdenken. Zum Nachdenken über den Krieg.

Ivan Mitrovic stammt von der kleinen Insel Hvar, die vor der dalmatinischen Küste liegt. Das war einst Jugoslawien und ist jetzt Kroatien, „und ich bin plötzlich Kroate“, sagt Ivan. Seit fünf Jahren lebt er schon in Deutschland, mit seiner kroatischen Frau, die hier geboren ist und dem kleinen Sohn Alexander. Ivan ist nicht vor dem Krieg geflohen, aber der Krieg hat ihn eingeholt. Immer kommen diese Anrufe. Viele Freunde von früher sind eingezogen und kämpfen und töten. Darunter sein bester Freund, mit dem er in den Sommern auf Hvar wie ein Verrückter im Familiencafe geschuftet, in den Wintern, wenn keine Touristen kamen, getrunken, geredet und sich die lange Zeit vertrieben hat. Demnächst kommt sein Cousin zu Besuch und wird von der Front berichten.

„Ich weiß nicht“, sagt Ivan, „ob ich mitgekämpft und getötet hätte. Damals war ich wie alle anderen.“ Aber eines weiß er: daß auch hier in Deutschland Krieg ist. Ein Krieg ohne Schußwaffen, der sich in seinem persönlichen Bereich zeigt, wenn die Frau keine deutsche Staatsbürgerschaft erhält; wenn er selbst keine Arbeitserlaubnis bekommt und die Jobs, die er gefunden hat, hiesigen Arbeitslosen überlassen muß; wenn er nur durch Zufall erfährt, daß es BSHG-19- Stellen gibt. Fast wäre er durch alle Maschen gefallen. „Die Leute vom Brodelpott-Verein haben mich gerettet“, sagt Ivan. „Sie haben alles getan, damit ich hier arbeiten kann. Jetzt gehe ich durch Walle, und die Menschen grüßen mich, und es ist fast wie zuhause.“

Ivan spricht sehr gut deutsch. Seine Frau hat es ihm beigebracht. Auch der kleine Alexander spricht deutsch. Nur deutsch, kein kroatisch. „Es ist ein beruhigendes Gefühl, mit Alexander deutsch zu sprechen. Gerade dann, wenn ich spüre, daß mich die Leute im Laden oder auf der Straße komisch angucken.“

Der Krieg hat Ivan eingeholt, sagt er. Nicht nur durch die Bilder und Nachrichten aus seiner ehemaligen Heimat. Er sieht ihn überall. In der Art, wie die Penner und Junkies leben müssen, in der Ausländerfeindlichkeit, darin, daß Menschen Macht über andere ausüben. „Mein Alltag läuft mit dem Krieg ab“, sagt er. „Das ist normal. Auch zuhause kämpft ja mein Freund, und mein Vater geht zur selben Zeit Fischen.“

Im Cafe ist nicht viel los, wenn nicht gerade eine Veranstaltung im Brodelpott läuft. Viel Zeit zum Nachdenken. Nachdenken über den Krieg, von dem Ivan glaubt, daß die Menschen hier ohne weiteres mitmachen würden. Er sehnt sich nach dem Sommer. Dann wird seine Frau ein neues Baby haben, es wird viel Arbeit geben, und der Krieg wird ihn ab und zu loslassen. Cornelia Kurth