Eingebung, Umgebung etc.
: Die Einrichtung des Universums

■ Häuserbauen als naturalistische Kunst: Ein Buch von Derek Walters

Ein universales Grundbedürfnis des Menschen ist die Bestimmung seines Platzes im grenzenlosen Raum und dessen Ausgestaltung zu einem Wohn- Ort, der ihm Identität und Geborgenheit gibt, der ihm zur Heimat wird. Diese Ortsbestimmung korreliert mit der Raumwahrnehmung – und die weicht in Ostasien stark von der des Okzidents ab. Der Schlüssel zu diesem Verständnis ist das sogenannte feng-shui.

Der chinesische Begriff feng- shui (wörtlich: „Wind-Wasser“) wird bei uns als Geomantie oder Geomantik geführt. Er verfügt nicht über eine klar festgelegte Bedeutung; in manchen Zusammenhängen wird er als „Umgebung“ übersetzt, doch häufiger bezieht er sich auf die „Ausstrahlung“ eines bestimmten Ortes. Dem Eingeweihten dient der Name als Synonym für eine komplexe Theorie mit tiefen autochthonen Wurzeln. Nach heutigem Verständnis behandelt sie das Verhältnis zwischen Architektur und Umwelt unter Beachtung von Geologie, Meteorologie und Astronomie, wobei sie der Orientierung und der Topographie besondere Beachtung schenkt.

Die Architektur mag, wie alle anderen symbolischen Bezugssysteme, bezeichnend sein für eine beständige Kulturordnung. Das alte China stellt eine solche dar – traditionell als Ordnung der hierarchisierten und kontrollierten Beziehungen in einem nicht dem Menschen dienenden, sondern nach seinem Bild eingerichteten Universum. Zur besseren Integration hat diese Ordnung ein ganzes System von Entsprechungen geschaffen, kodifiziert im feng- shui.

Real faßbare Umweltaspekte und philosophisch/mystische Gedankengänge verweben sich hierin zu einer einzigartigen Synthese. Eine geschichtliche Herleitung ist zur Erklärung des Phänomens ganz hilfreich. Dem doppelten Zweck der Architektur, nämlich praktisch- funktionale Bedürfniserfüllung und emotional-ästhetisches Symbolisieren, wurde im alten China nicht durch die Unifikation der Arbeit in einer Person (der des Architekten) entsprochen, sondern durch ihre duale Unterscheidung: Ein „technischer Fachmann“, zuständig für eine adäquate Ausführung des Hauses, die Erfüllung ihrer elementaren Funktion mittels überlieferter modularer, streng systematisierter Ordnung; ein „literarisch“ Ausgebildeter, der durch sein Verständnis für die Poesie die Gruppierung der Baukörper, ihre Gestaltung und Einbindung in die umgebende Landschaft festzulegen berufen war.

Die Aufgabe des einen war die Gewährleistung des Allgemeinen – eine gewünschte Fläche durch eine variierende Anzahl standardisierter Balken zu unterteilen und zu überdachen –, das Besondere und Individuelle lag dagegen in den Händen des anderen, dem die Disposition und künstlerische Komposition nahezu typisierter Einzelkörper oblag. Der Bauprozeß wird zu einem zweigleisigen Modell, mit einer nüchternen, säkularen Schiene und einer mystisch-lyrischen – wobei die Weiche für die Prämissen des Bauens auf letzterer gestellt wird. Der Geomantiker spielte – für jene, die es sich leisten konnten – bei Lokalisierung und Ausrichtung eines Bauwerks traditionell den Part dessen, der für den Erfolg des Unternehmens verantwortlich war.

In Hongkong – und zwar selbst beim Bau von Wolkenkratzern – gewinnt die Geomantik seit geraumer Zeit wieder erheblich an Bedeutung. So stand der Errichtung der „Bank of China“ (1987–89) nach Plänen des Architekten Ieoh Ming Pei ein ungünstiges feng-shui lange Zeit als größtes Hindernis entgegen. Nach vielfältigen Protesten, und als der Aushub der Baugrube bereits beendet war, mußten (Zeit- und Kosten-) aufwendige Umplanungen vorgenommen werden, um eine bessere Entsprechung zur Umgebung zu formulieren. Beispiele wie dieses unterstreichen nur, daß das Bedürfnis nach „guter Einbindung“ durch den Siegeszug der westlichen „rationalen“ Moderne in Ostasien mitnichten erstickt wurde.

Mit einem Buch zum Phänomen des feng-shui kann es – bei uns – nur darum gehen, zu sensibilisieren: und zwar für den Umgang mit der Natur, für die Beachtung der Topographie, für Umwelteinflüsse etc. Wenn man es jedoch, wie Derek Walters das tut, als funktionierende Methode verkaufen will, wird man sehr schnell an Grenzen stoßen. Wo es vornehmlich darum ginge, die Komplexität eines Gesamtbildes, in dem jedes Detail innerhalb eines „ganzheitlichen“ Rahmens verortet wird, herzuleiten und zu erklären, möchte der Autor einen Experten kreieren, der nach der Lektüre „schon ebenso kundig in den Geheimnissen jener Kunst [agiert] wie viele Feng- Shui-Praktiker im Fernen Osten.“

Profunde Tiefenschärfe ist offensichtlich kein Bestandteil von Derek Walters Ansprüchen. Konsequenterweise blendet der Autor die semantischen und holistischen Aspekte aus und beschränkt sich auf Ratschläge für den konkreten Vollzug: beim Bau des Eigenheims, bei der Ausrichtung von Mobiliar zum Beispiel. Insofern ist „Die Kunst des Wohnens“ als ein erster Einstieg in das Thema durchaus akzeptabel. Gleichwohl haftet dem Buch das an, was populärwissenschaftliche Schriften fast durchweg „auszeichnet“ – ein oberflächlich- euphemistischer Grundton, der tieferliegende Schichten eher kaschiert als betont. Wenn man sich also fundiert mit einem Thema befassen will, das durchaus bereichernd und befruchtend sein kann –, dann wird man zu einem anderen Buch greifen müssen.

Robert Kaltenbrunner

Derek Walters: „Die Kunst des Wohnens. Feng-shui“. O.W. Barth Verlag, 1993, 258 S., zahlreiche S/w-Abb., 38 DM