■ Vom ökonomischen Schaden der Rüstungsexporte
: Gegen das kurze Gedächtnis!

„Mit deutscher Unterstützung hergestellte Giftgasgranaten bereiten deutschen UN-Blauhelmen ein herzliches Willkommen!“ – So könnte die Schlagzeile lauten, wenn sich eine Reihe konservativer Politiker und Manager aus der Rüstungsindustrie mit der Forderung nach Lockerung der Regeln für den Rüstungsexport durchsetzen. Dabei ist es gerade drei Jahre her, daß die deutschen Exportrichtlinien verschärft wurden. Damals hatten irakische Scud-Raketen in Israel Giftgas-Alarm ausgelöst – Giftgas, welches mit Hilfe eben jener dual-use-Produkte aus Deutschland hergestellt wurde, deren Export CSU, CDU und FDP heute freigeben wollen.

Unter dem Vorwand, die Bundesrepublik Deutschland müsse ihre Ausfuhrregeln den weniger restriktiven Vorschriften anderer EU-Partnerländer anpassen, werden solche Skrupel beiseitegeschoben und einer Liberalisierung des deutschen Waffenexports das Wort geredet. Gegen dieses kurze Gedächtnis, gegen die Behauptung, Deutschland müsse seine Exportbestimmung im EU-Gang weichspülen, bleibt festzuhalten:

Art. 223 EWG-Vertrag schreibt ausdrücklich fest, daß der Handel mit Waffen, Munition und Kriegsmaterial nicht diesem Vertrag unterliegt. Mithin ist jeder Staat frei, den Waffenexport so zu regeln, wie er dies für richtig hält – restriktiv oder weniger restriktiv. Im Zusammenhang mit den Beratungen des Maastrichter Vertrages hatten die – damalige – EG-Kommission und das EG-Parlament eine Harmonisierung der Regeln für Waffenexporte aus der EG gefordert, was in der Konsquenz die Streichung von Art. 223 EWGV notwendig gemacht hätte. Dieser Vorschlag fand jedoch bei den EU-Mitgliedsländern keine Mehrheit.

Es ist zwar zutreffend, daß die Genehmigungspraxis einiger europäischer Staaten beim Export von Waffen großzügiger ist als in der Bundesrepublik. Dennoch wäre es mit Sicherheit falsch, dem Zug der Rüstungs-Lemminge zu folgen. Gerade das Beispiel Irak hat gezeigt, daß Waffenexporte zwar kurzfristig die Gewinne bei den europäischen Lieferanten garantiert und Arbeitsplätze gesichert haben. Aber um welchen Preis! Tausende von Toten und Verletzten, Zerstörung von Städten, Infrastruktur und Umwelt. Die Schäden, soweit überhaupt in Geld ausdrückbar, belaufen sich auf einige Hundert Milliarden US-Dollar.

Nicht genug mit den Verlusten im Irak und in Kuwait: Die von den europäischen Waffenexporteuren selbst verschuldete Abhängigkeit von irakischen Waffenimporten hat sich für sie im nachhinein als wirtschaftlich katastrophal erwiesen: dramatische Umsatzeinbrüche und Verluste von Arbeitsplätzen bei den hauptsächlich europäischen Waffenexporteuren waren die Folge. Hinzu kommt, daß beispielweise die französischen Steuerzahler in Milliardenhöhe zur Kasse gebeten wurden, weil der französische Staat den Rüstungsexporteuren Garantien und Bürgschaften für den Fall der Zahlungsunfähigkeit des Irak gewährte – was prompt eintrat.

1992 belief sich der deutsche Gesamtexport auf 671 Milliarden DM, davon entfielen 5,3 Milliarden DM auf den Export von Waffen, Munition und sonstigen Rüstungsgütern, das heißt 0,007 Prozent. Wenn man den Export von dual-use-Gütern, kerntechnischem Gerät sowie von chemischen und biologischen Anlagen hinzurechnet, betrug der Export 1992 28,9 Milliarden DM oder 4,3 Prozent des Gesamtexports. Von den deutschen Rüstungsunternehmen wird gegenwärtig das angeblich wirtschafts- und arbeitsplatzschädigende Genehmigungsverhalten der deutschen Behörden kritisiert, das umgehend geändert werden müßte. Tatsache ist hingegen, daß 1992 von insgesamt 26.237 Anträgen auf Ausfuhrgenehmigung lediglich 369 Aufträge mit einem Auftragswert von 498 Millionen DM nicht genehmigt wurden. Schon diese Zahlen machen deutlich, daß die wirtschaftliche Bedeutung von Waffenexporten für die Bundesrepublik marginal ist. Deutlich wird hingegen, daß Deutschlands Wettbewerbsposition entscheidend von den Exporterfolgen bei zivilen Produkten abhängt, und genau in diesem Bereich sind die Einbrüche in den zurückliegenden Jahren dramatisch. Managementversagen, Risikoscheu, Innovationsmüdigkeit, Ignoranz und Arroganz gegenüber zahlreichen ausländischen Mitbewerbern haben zum Verlust von Arbeitsplätzen und Marktanteilen geführt. Diese Strukturschwächen der deutschen Wirtschaft durch eine Lockerung der Exportbestimmungen kompensieren zu wollen, hieße sie weiter zu verfestigen statt sie zu überwinden.

Die Entwicklung und Fertigung von Waffen bindet wertvolle Ressourcen, die zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik auf dem zivilen Sektor notwendig wären. Wissenschaftler, Finanzmittel und kostbare Rohstoffe werden im nicht-reproduktiven Bereich der Rüstungstechnik absorbiert, wodurch sich die Konkurrenzposition auf zivilen Märkten weiter verschlechtert. Die von der Rüstungslobby behaupteten spin-offs, also die zivile Nutzbarmachung militärtechnischer Erfindungen, ist bis heute eine unbewiesene Behauptung geblieben.

Waffenexporte und die Ausfuhr ziviler Güter stehen auch in keinem „additiven“ Verhältnis. Beides ist nicht gleichzeitig möglich. Jede Mark und jeder Dollar, der für Waffenbeschaffungen ausgegeben wird, fehlt den Importländern anschließend für den Import ziviler Güter. Schließlich werden durch die Ausfuhr von Rüstungsgütern Spannungen erhöht beziehungsweise Kriege wahrscheinlicher. Die verheerenden Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf die zivilen internationalen Handelsbeziehungen zeigen die Beispiele von Jugoslawien, Irak und Iran.

Die von der bayerischen Landesregierung wiederholt erhobene Forderung, Rüstungsexporte künftig nur noch durch das Wirtschaftsministerium genehmigen zu lassen, hätte für die bundesdeutsche Außen- wie Außenwirtschaftspolitik katastrophale Folgen. Wenn die jeweiligen regionalen Standortinteressen, seien es die niedersächsischer U-Boot-Werften, hessischer Panzerschmieden oder bayerischer Raketen-Fabriken, den Ausschlag für Exportgenehmigungen geben, kann von einer bloß an nationalen Interessen (von humanitären Erwägungen einmal völlig abgesehen) orientierten Außenpolitik nicht mehr die Rede sein. Wo es bei den U-Booten für Taiwan noch den möglichen ökonomischen Schaden für die Beziehungen zu China abzuwägen galt, gibt es etwa bei den lange umstrittenen Leos für Saudi-Arabien keinerlei wirtschaftliche Gründe, die dagegen sprechen – politische hingegen zuhauf.

Die jüngste Debatte um Rüstungsexporte ist so dabei, das wichtigste Kapital von über 40 Jahren bundesdeutscher, nachfaschistischer Außenpolitik zu verspielen: ihre Berechenbarkeit. Jürgen Trittin

Minister für Bundes- und Europa-Angelegenheiten in Niedersachsen