■ Noch nie war unser Figurbewußtsein größer als heute:
: Fitneß, Wellness oder Winterspeck?

Berlin (taz) – Es ist erschreckend: Jeder zweite Deutsche sorgt sich um seine Figur, steigt gar täglich auf die Waage und hat bereits zwei oder drei Abmagerungskuren hinter sich. Aber selbst wenn man ein paar Pfund Winterspeck auf den Rippen hat, wird man die denn nur mit einer Diät wieder los? Automatisch denkt man an dieses komische Hilfsmittel, für das unser TV-Schwergewicht Harry Wijnfoort seine Plauze hinhält. Nein, Fasten bleibt ausgeschlossen! Aber was kann man denn sonst tun? Sex – wird oft überschätzt; er macht hungrig und verbraucht in etwa so viel Kalorien wie Kartoffelschälen, heißt es. Rauchen – pfui, gerade erst abgewöhnt! Oder nur noch längsgestreifte Sachen tragen? Abnehmen mit Lustgewinn funktioniert leider nur im Zusammenhang mit Sport. Vielleicht vertraut man mal auf das, was die schlanken Politiker uns vormachen: US-Präsident Bill Clinton joggt täglich einmal um das Weiße Haus, und selbst der Rudolph Scharping soll ein wahrer Sportsfreund sein. Fotos (Spiegel-Ausgabe vom 10. Januar) beweisen es: Er geht sogar ins Studio.

Wer sich zur Fitneß bekennt, braucht sich längst nicht mehr zu genieren. Denn schließlich wissen wir längst, Bodybuilding ist einfach mega-out, aber Fitneß und Wellness, das neue Schlagwort aus den USA, welches das totale körperliche Wohlbefinden beschreibt (das sich in der Regel nach dem Sport einstellt) sind die totalen Heißmacher. Die neusten Untersuchungen zum Thema Kalorienabbau treffen jedoch wie ein Schlag ins Gesicht: Da rackert man sich auf dem Trimmrad ab, mit Gymnastik oder dem Dauerlauf im Park – aber es macht einen nicht leichter! Zumindest nicht so unmittelbar, wie man bisher angenommen hat. Denn erst nach 20 Minuten schweißtreibender Bewegung, also dann, wenn man eigentlich längst wieder ans Aufhören denkt, schmelzen die Fettreserven. Eine 20minütige Sporteinlage ist für den Kalorienverbrauch völlig unerheblich. Anlaß genug für Sportkreateure, wieder einmal tief in die Trickkiste zu greifen und einen neuen Sporthit hervorzuzaubern. Der neuste Import in Sachen Hausfrauensport läßt die Herzen aller Diätbedürftigen höher schlagen und kommt selbstredend aus den Staaten: Fatburner lautet der Name eines Sportkurses, der alles sagt, und den ein renommiertes Berliner Frauen-Fitneßstudio jetzt mit großem Erfolg anpreist. Heute noch weitgehend unbekannt, wird er garantiert innerhalb diesen Jahres noch in alle Kursprogramme besserer Fitneßcenter einziehen. Das Geheimnis dieser Methode heißt 60 Minuten Action nonstop. Faktisch sieht das dann so aus: Eine Horde Bewegungshungriger wedelt unaufhörlich Arme und Beine zu rhythmischer Popmusik, klatscht ab und zu mal in die Hände und zählt die Kalorien, die dabei verbraucht werden. Der Unterschied zum Aerobic ist also mit bloßem Auge kaum wahrnehmbar. Oder möglicherweise besteht er in der größeren Fülle der Kursteilnehmer oder ihrer höheren Anzahl. Um die 60 Minuten Powersport ohne einen Zusammenbruch überstehen zu können, wird beim Fatburning jedoch ein bißchen mit der Kraft gespart: Im Gegensatz zum Aerobic wird hier auf virtuoses In- die-Luft-Springen weitgehend verzichtet. Nur ab und zu wird mal ein Jumping Jack (Fachjargon für den Hampelmann) zur allgemeinen Belebung eingestreut.

Wer das jedoch erst mal mit gesunder Skepsis betrachtet hat, dem sei lieber eines anempfohlen: Ein überzeugendes Wellness stellt sich auch zu Hause auf dem Sofa ein; nämlich vor der Glotze, mit einer Tafel Schokolade und einer Büchse Bier. Aber im längsgestreiften Bademantel dann bitteschön. Kirsten Niemann