: Weiter auf dem rechten Weg
In Oberhof wird wieder über Wintersport gesprochen / In Suhl mußten sich zwei Skins wegen Körperverletzung verantworten ■ Aus Oberhof und Suhl Detlef Krell
Es liegt wieder Schnee in Oberhof, und Duncan Kennedy kann mit seinem Erfolg an diesem Wochenende zufrieden sein. Beim Viessmann-Weltcup fuhr der US- amerikanische Rodler im Herren- Einzel einen zweiten Platz ein, etwas mehr als eine halbe Sekunde hinter dem Österreicher Markus Prock. Pech hatte sein Team-Kollege Robert Pipkins. Er stürzte im ersten Lauf, damit war der Weltcup für ihn zu Ende. Um die 3.000 ZuschauerInnen säumten den Eiskanal. Wer den Wintersport lieber in der warmen Stube mag, konnte sich in Diskos und Hotelhallen vor die Fernseher setzen.
Ganz Oberhof fuhr Schlitten mit den Weltbesten. Mit der frischen weißen Winterdecke kehrte das sportliche Fieber um Bahnrekorde und große Namen in die südthüringische Bergstadt zurück. So war es hier immer, nur in diesem Jahr drohte alles anders zu werden. Der Angriff auf die US-Rodler in der „Kurparkklause“ vom 29. Oktober hatte den Einheimischen einen Schock versetzt. „Rechtsextremistische Skins, die nicht aus Oberhof stammen“, diese Formel wurde beschwörend wiederholt, als sich die internationale Presse in dem Wintersportzentrum einfand und nach den Tätern fragte.
Oberhof lebt allein vom Sport und von der Touristik. Wer eine andere Arbeit hat, muß über den Gebirgskamm hinab ins Tal fahren, nach Zella-Mehlis oder Suhl. Als der Taxifahrer vor dem nüchternen Block des Suhler Amtsgerichts hält, gibt er seinen Kommentar zu dem Prozeß: „Fünf Jahre müßten die kriegen, mindestens. Damit hier endlich mal Ruhe ist.“ Vor dem Eingang zu dem ehemaligen Verwaltungsgebäude eines Betriebes drängeln sich schon Stunden zuvor die Journalisten. Das internationale Medieninteresse hat das kleine Gericht überrannt. Der größte Saal faßt keine hundert Leute, es gibt numerierte Besucherkarten, die Plätze reichen nicht einmal für die Presse. Händeringend bittet eine Frau um Durchlaß: „Ich bin Schöffin in diesem Prozeß!“ Richter Wolfgang Feld- Gerdes wartet nervös, bis endlich das letzte Kamerateam den Saal verlassen und die Berichterstatter sich sortiert haben. Auf der Anklagebank sitzen zwei junge Männer, der hager aufgeschossene Silvio Eschrich, 21 Jahre alt, und der fünf Jahre jüngere Tino Voelkel. Beide stammen aus Suhl, allerdings ist Silvio Eschrich mit seinen Eltern 1989 nach Bamberg gezogen. Dort arbeitet er als Maurer; ein Beruf, für den Tino Voelkel noch ausgebildet wird. Beide erklären sich als Skins; jedoch werden sie über mögliche Verbindungen zu rechtsextremistischen Gruppen in diesem Prozeß die Aussage verweigern.
Oberstaatsanwalt Peter Möckel verliest die Anklage: Am Abend des 29. Oktober haben die beiden Männer gemeinschaftlich mit weiteren, etwa 15 Skinheads den US- amerikanischen Rennrodler Duncan Kennedy mißhandelt, dabei Fußtritte und Faustschläge ausgeteilt. Eschrich werden zudem noch eine folgenschwere Prügelei sowie fünf Fälle von Autodiebstahl und Fahren ohne Führerschein vorgeworfen. Leise und mit stockender Stimme gibt er die Auto-Geschichten zu, doch mit den Schlägereien sei „einiges anders gelaufen“. Voelkel versucht, selbstsicher aufzutreten, und erklärt mit klaren Worten, daß er an der Schlägerei zwar beteiligt gewesen war, aber nicht getreten, nur geschubst habe.
In der Darstellung der beiden Angeklagten erscheint die Tat als eine bedauerliche, aber dennoch folgerichtige, ja unausweichliche Konsequenz von Provokationen der Amerikaner. Eine Provokation, die schon damit begann, daß Robert Pipkins eine schwarze Hautfarbe hat. Mit seinen Sportfreunden war der 20jährige Rodler an diesem Abend in die „Kurparkklause“ gegangen, um einen Geburtstag zu feiern. Für die Suhler Jungmänner ein Skandal. „Ein Neger in unserer Disko!“ durchfuhr es Tino. Die Provokation ging damit weiter, daß die Amis nicht in die Biergläser stierten, sondern sich im Saal umschauten. Tino fühlte sich „beäugt“, durch Blicke beleidigt. Dagegen muß man etwas tun. Er stand auf, ging zum Tisch der „Fremden“, rückte sich vor dem Schwarzen in Positur und zog sein T-Shirt straff. Darauf stand „Skinheads Deutschland“, die Reichskriegsflagge und „so ein Totenkopf von der SS“ sind zu sehen. Deutsche Ehre war gerettet, nun mußte er aufs Klo.
Robert Pipkins und, wie Kennedy später aussagt, ein jüdischer Sportler aus der Mannschaft wollten den Jugendlichen fragen, was diese Szene sollte. Sie folgten ihm auf die Toilette. Dort muß es einen kurzen, gebrochen-deutschen Dialog gegeben haben. In seiner Erregung soll Robert auch einmal mit der Faust in die Handfläche geschlagen haben, wohlgemerkt, in die eigene. An den Tischen wurde diese Begegnung ausgewertet. Die Skins waren empört über die unerwartete Erwiderung. Sie beschlossen, „dem Neger“ zu zeigen, woher er kommt und wohin er zu verschwinden hat. „Neger stammen doch vom Affen ab“, erklärt Tino Voelkel dem Richter seine Philosophie, „deshalb sind wir zu dem Tisch gegangen und haben den Affen gemacht.“ Die Glatzköpfe sprangen vor den Amerikanern herum und zeigten, wie sie sich den Urwald vorstellen.
Die Rodler ahnten, wie dieser Zirkus enden könnte. Sie verließen den Saal. Was nun passierte, erklären die Angeklagten und die an der Schlägerei beteiligten Zeugen so: „Wir wollten den Farbigen zur Rede stellen.“ Der Oberstaatsanwalt wird diese Worte in seinem Plädoyer übersetzen: „Da gab es nichts mehr zu klären. Da ging es um die blanke Aggression.“ Als der Ankläger das „Urwaldgeheul“ und die angestauten Aggressionen „rassistisch“ nennt, ist das eines der wenigen politischen Worte in diesem Verfahren. Bei der Anklage beginnend, wird sonst jeder Bezug zu Rechtsextremismus und Rassismus sorgsam vermieden.
Die Skins folgten den Amerikanern ins Freie. Robert Pipkins und sein jüdischer Kollege flohen, Duncan Kennedy ging in normalem Tempo weiter, um die Situation im Auge zu behalten. Plötzlich sah er sich von Skins umringt. Vor dem Gericht erinnert er sich an die brutale Schlägerei. Viermal war er zu Boden gefallen, Fäuste und Stiefel trafen ihn am ganzen Körper. Wer welche Schläge austeilte, ist heute nicht mehr exakt festzustellen. Gegen fünf weitere Skins wurde inzwischen Anklage erhoben. Als Zeugen in diesem Verfahren legen sie zumindest den Verdacht nahe, daß sie sich Teile ihrer Story zurechtgelegt haben. Einschlägige Erfahrungen mit Gerichten besitzen die meisten. Da sollen Polizeiprotokolle „erfunden“ worden sein, an Namen kann man sich nicht mehr erinnern. Einer der geladenen Zeugen kommt gar nicht erst und läßt das Gericht wissen, daß er seine berufliche „Zukunft nicht wegen einer Zeugenvernehmung aufs Spiel setzen“ werde für einen „Showprozeß“.
Immerhin können die beiden Angeklagten in den Punkten, die sie bestritten haben, durch Zeugenaussagen überführt werden. Duncan Kennedy erkennt Tino Voelkel als einen der Schläger wieder, und selbst wenn dieser, wie behauptet, „nur“ geschubst hat, spricht ihn das nicht vom Vorwurf der gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung frei. Silvio Eschrich begründet seine Teilnahme an der Prügelei mit dem Korpsgeist der Truppe: „Ich wollte meinem Kumpel helfen.“ Der Polizei hatte er zu Protokoll gegeben, daß Voelkel ein „Arschloch“ sei und andere in seine Schlägereien immer wieder hineinziehe. So geschah es auch in der gleichen Nacht, kurz nachdem Duncan Kennedy zu Boden gegangen war. Wieder fühlte sich Voelkel „beäugt“, diesmal aber von dem Oberhofer Studenten Gunnar Wolf. Der warf im Vorübergehen einen Blick auf die gleichen Nazi-Symbole, die Voelkel eben noch stolz präsentiert hatte. Voelkel heuerte seine Kumpane an, die prügelten gründlich. Der Student trug noch schlimmere Verletzungen davon als der Rennrodler. Nachgewiesen ist, daß Silvio Eschrich seinem Opfer mit Springerstiefeln ins Gesicht getreten hat. Es war „wie ein Tauziehen“ um den fast bewußtlosen Mann, erinnert sich sein Freund Denny, der vergebens versucht hatte, Gunnar beizustehen. Voelkel gibt dem Gericht eine frappierende Erklärung dafür, warum er die anderen für sich prügeln ließ: „Ich darf doch nicht, ich habe Bewährung.“ Das Strafregister der beiden Angeklagten führt Taten und Urteile wie ein Mäander vor. Autodiebstahl, Fahren ohne Führerschein, Tanken ohne zu zahlen; mehrfach liegen nur wenige Tage zwischen einer Verurteilung und der neuen Straftat in genau der gleichen „Branche“. In der Art der Taten unterscheiden sich die beiden kaum, doch während Voelkel immer mit Freunden hantiert, geht Eschrich allein vor. Da stehen die Autos mit Zündschlüsseln und offenen Türen am Straßenrand nur so herum; eine Einladung, die den jugendlichen Serientäter sogar schon zu touristischen Ausflügen inspirierte. So fuhr er mit einem Kumpel im geklauten Auto mit geklautem Sprit bis nach Paris.
„Ich plädiere spontan“, spricht Oberstaatsanwalt Möckel, und am Ende seiner Rede läßt er angesichts der kriminellen Hartnäckigkeit der beiden jungen Männer Verzweiflung durchblicken. „Da fällt mir nix mehr ein“, wendet er sich an Tino Voelkel, „als Erziehung in der festen Haft.“ Auch für Eschrich beantragt er eine Jugendstrafe, denn als die „schwerste Straftat“ bewertet er die, wegen der der Angeklagte schon mehrfach vorbestraft wurde, also den Autodiebstahl. Als strafmindernd wertet er die weitgehenden Geständnisse. Die beiden Verteidiger möchten am liebsten jede politische Wertung aus dem Prozeß herausnehmen. „Niemand wollte Pipkins an die Wäsche“, meint Eschrich-Verteidiger Roger Kuhn. Dem Farbigen sei doch niemand hinterhergerannt. „Möglicherweise“ habe es „Provokationen von allen Seiten“ gegeben: „Wer sich in Gefahr begibt...“, das sei ja alles denkbar. Er halte die Schlägerei jedenfalls nicht für eine rassistische Tat. „Es war nicht so wild, wie es von den Medien aufgebauscht wurde.“ Voelkel-Anwalt Björn Schückel befürchtet, daß eine Haftstrafe aus seinem Mandanten einen „Märtyrer“ mache, der dann erst recht „weiter auf dem rechten Weg“ marschiert.
Das Gericht folgt mit seinem harten Urteil weitgehend dem Antrag des Oberstaatsanwalts: zwei Jahre und acht Monate für Eschrich, ein Jahr für Voelkel lautet das Urteil. Richter Feld-Gerdes kommt auch auf die späte Reue zu sprechen. Beide Angeklagte haben im Gerichtssaal gegenüber Duncan Kennedy den Vorfall bedauert. „Unsere Probleme hätten wir anders klären müssen“, fiel Silvio Eschrich ein; und die Eltern von Tino Voelkel erklärten, daß ihr Sohn Kennedy einen Brief geschrieben habe, „an der Öffentlichkeit vorbei“. Dennoch hat der Richter Bedenken, ob die Reue echt ist „oder nur Reue unter dem Druck des Strafverfahrens“. Silvio Eschrich wird aus der Untersuchungshaft direkt in die Strafhaft wechseln. Sein Urteil ist rechtskräftig. Dagegen behalten sich Staatsanwalt und Verteidigung für Tino Voelkel Rechtsmittel vor.
Mit gemischten Gefühlen verlassen die vielen amerikanischen Journalisten den Ort. Deidre Berger, Reporterin für National Public Radio, fragt nachdenklich: „Wie wollen denn die Deutschen den Rechtsextremismus bekämpfen, wenn sie in so einem Prozeß mit keinem Wort über den Rechtsextremismus reden?“
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