Irische Regierung lockert Maulkorb

Das Rundfunkzensurgesetz „Section 31“ läuft heute aus / Restriktionen bleiben jedoch nach wie vor bestehen / Sinn Féin dokumentiert geheime Kontakte mit der Regierung  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Nach 20jähriger Abstinenz dürfen ab morgen wieder Mitglieder von Sinn Féin („Wir selbst“), dem politischen Flügel der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), im irischen Staatsfunk RTE zu Wort kommen. Der zuständige Labour- Minister Michael D. Higgins beschloß, das Zensurgesetz „Section 31“, dessen Gültigkeit heute abläuft, nicht zu verlängern.

Das Schlimmste war die Selbstzensur der Sender

Freilich heißt das noch lange nicht, daß RTE-JournalistInnen nun freie Hand haben: Bevor sie ein Sinn-Féin-Mitglied interviewen wollen, müssen sie sich in der Chefetage eine Genehmigung besorgen. Darüber hinaus müssen die Chefs das Material vor der Sendung absegnen. Das ist in „Section 18“ geregelt. Live-Interviews sind also nach wie vor nicht möglich, ebensowenig eine Teilnahme an den zahlreichen und überaus beliebten politischen Live-Diskussionen in Radio und Fernsehen. Dennoch begrüßte Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams die Aufhebung von „Section 31“ als „längst überfälligen Schritt“. Die beiden größten Oppositionsparteien kritisierten dagegen die Entscheidung, weil die Gründe für das Zensurgesetz nach wie vor Bestand hätten.

Die Wurzeln des irischen Zensurgesetzes gehen auf das Jahr 1972 zurück. Damals hatte RTE- Reporter Kevin O'Kelly den Stabschef der IRA, Sean McStiofain, interviewt. McStiofain wurde daraufhin wegen IRA-Mitgliedschaft zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. O'Kelly bekam drei Monate, weil er sich geweigert hatte, die Tonbandstimme zu identifizieren. Die Regierung verlangte darüber hinaus O'Kellys Entlassung. Als der RTE-Vorstand sich sträubte, wurde er kurzerhand des Amtes enthoben und durch gefügigere Leute ersetzt.

Im Januar 1974 erließ der damalige Labour-Postminister Conor Cruise O'Brien dann die „Section 31“, die Mitglieder von Sinn Féin sowie verschiedener illegaler Organisationen aus dem Äther verbannte. Fortan durften sie im Rundfunk und Fernsehen nicht mal über Gartenzwerge sprechen, geschweige denn über Politik. JournalistInnen, die dagegen verstießen, wurden fristlos entlassen.

„Ethnische Säuberungen“ und „Homelands“

Die schlimmste Zensur war die Selbstzensur, die dadurch ausgelöst wurde. Bestimmte GewerkschafterInnen und Folksänger, KabarettistInnen und sogar John Lennon wurden vorsichtshalber gar nicht erst gesendet. Im vergangenen Frühjahr entschied ein irisches Gericht schließlich, daß das Zensurgesetz keineswegs einem Totalverbot gleichkomme, sondern lediglich „sensible Bereiche“ — wie den Nordirland-Konflikt — betreffe. Ausgangspunkt für diese Entscheidung war das Urteil in erster Instanz: Darin hatte der Richter es dem Sender gestattet, den Gewerkschafter Larry O'Toole zu einem Streik bei seinem Arbeitgeber zu befragen, obwohl O'Toole Mitglied von Sinn Féin war. RTE hatte dagegen Berufung eingelegt und die Selbstzensur damit auf den Höhepunkt getrieben: Eine Sendeanstalt rief Gerichte an, damit sie die Zensurbestimmungen gegen den Sender nicht lockerten.

Obwohl nach dem Ende von „Section 31“ erhebliche Restriktionen bestehen bleiben, reagierten die nordirischen Unionisten — die für die Union mit Großbritannien eintreten — empört und beschuldigten die Dubliner Regierung, vor der IRA zu kriechen. Der Pressesprecher der „Democratic Unionist Party“ (DUP) und frühere Belfaster Bürgermeister, Sammy Wilson, sagte: „Jetzt hat die IRA Zugang zum Fernsehen, ohne der Gewalt abzuschwören. Das Nordirland-Ministerium verhandelt heimlich mit ihr. Und sie wird auch am Konferenztisch platznehmen dürfen, ohne vorher ihre Waffen abzugeben.“ Wilson sprach eine unverhohlene Drohung aus und bezeichnete eine Presseerklärung der protestantischen Terrororganisation „Ulster Defence Association“ (UDA) als „begrüßenswerte Rückkehr auf den Boden der Tatsachen“. Falls aufgrund der Mehrheitsverhältnisse drei der sechs nordirischen Grafschaften an die Republik Irland abgetreten werden müssen, will die UDA die übrigen drei Grafschaften „ethnisch säubern“ und ein protestantisches „Homeland“ schaffen. Das soll durch „Ausweisung, Internierung oder Zunichtemachen“ der Katholiken erreicht werden. Wilson bezeichnete die UDA als Retter der protestantischen Identität, während er der britischen Regierung vorwarf, heimlich mit Terroristen zu verhandeln.

Geheimverhandlungen mit der Regierung

Sinn Féin hat am Montag auf einer Pressekonferenz, die auf Einladung der Labour-Abgeordneten Tony Benn und Jeremy Corbyn im Westminster-Parlament stattfand, Einzelheiten über die Geheimkontakte mit der britischen Regierung bekanntgegeben. Der Parteivorsitzende Tom Hartley legte Papiere vor, aus denen hervorgeht, daß beide Seiten seit 1990 nicht nur intensive Gespräche geführt haben, sondern daß die britische Regierung darüber hinaus Sinn Féin Geheimpapiere zugänglich gemacht hat, die nicht mal dem Londoner Parlament bekannt waren. Die Gespräche scheiterten schließlich an der Hinhaltetaktik Londons.

Die britische Regierung, die ihre eigene Version der Kontakte im vergangenen Monat schon einmal korrigieren mußte und „Übertragungsfehler“ vorschob, verweigerte gestern jede Stellungnahme.