Beamte dachten überhaupt nicht mit

■ Durch verschiedene Behördenfehler wurde der Asylantrag einer aserbaidschanischen Familie nicht anerkannt / Die Frau mit fünf Kindern hält sich vorerst im Kirchenasyl versteckt

Nur Sakina Barchus epileptischer Anfall hielt die Polizei davon ab, sie und ihre fünf Kinder abzuschieben. Als die Beamten am vergangenen Montag morgen ihr Zimmer in einem Wohnheim betraten, zückte die Aserbaidschanerin ein Messer und drohte, sich umzubringen. Aufregung und Angst lösten die Krämpfe aus. Freunde brachten Sakina Barchu und die Kinder ins Kirchenasyl. Dort hält sie sich seitdem versteckt.

Zu dieser Situation wäre es nicht gekommen, hätten die Behörden den Asylantrag ihres Mannes Jahangir Barchu pflichtbewußt bearbeitet. Barchus Antrag wurde bereits im November 1992 abgelehnt. Doch den Ablehnungsbescheid des Bundesamtes für Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat er nie erhalten. Erst ein dreiviertel Jahr später erfuhr Barchu von einer anderen Behörde, dem Landeseinwohneramt Berlin, er habe keinen Anspruch auf politisches Asyl und müsse die Bundesrepublik verlassen. Die zweiwöchige Frist, um Klage gegen den Bescheid zu erheben, war inzwischen längst verstrichen.

Grund für die Verspätung der Zustellung: Der Einschreibebrief, in dem Barchu den Umzug seiner Familie in ein anderes Wohnheim meldete, hatte sich auf seinem Weg durchs Bundesamt scheinbar in Luft aufgelöst. Der Ablehnungsbescheid wurde an die alte Adresse geschickt und kam mit dem Vermerk „Adressat unbekannt verzogen“ wieder zurück. Den Akten zufolge erklärt die Behörde, den Zugang der Ummeldung „weder bestätigen noch dementieren“ zu können. Denn die gesamten Unterlagen befänden sich jetzt beim Verwaltungsgericht Berlin.

Das war nicht die erste Panne des Bundesamtes. So fällt die persönliche Anhörung des Ehepaares unter die Rubrik Sprachverwirrung. Barchu spricht fließend Aserbaidschanisch. Ein Dolmetscher für diese Sprache war nicht aufzutreiben. Da Aserbaidschan lange zur ehemaligen Sowjetunion gehörte, so der Gedankengang im Bundesamt, muß Barchu Russisch verstehen. Doch Fehlanzeige: Der Mann spricht es nur gebrochen. Trotz alledem suchte die Behörde einen russischen Übersetzer, fand aber keinen. Als Notlösung engagierte man einen polnischen Muttersprachler mit mäßigen Russischkenntnissen. In ähnlicher Weise verfuhr man mit der Frau. Die offensichtliche Inkompetenz des Bundesamtes hatte ernste Folgen für Familie Barchu. Die persönliche Anhörung ist ein wichtiger Faktor für die Entscheidung über einen Antrag auf politisches Asyl: Kann ein Flüchtling seine politische Verfolgung in der Befragung nicht nachweisen, landet er auf kürzestem Weg wieder in seinem Heimatland.

Barchu ist im Iran geboren und mußte mit seinen Eltern nach Aserbaidschan fliehen. Er wurde dort zuerst als „Staatenloser“ und dann als „politischer Flüchtling“ geführt. In der damaligen Sowjetrepublik war er Mitglied der iranischen Exilpartei Tudeh. Nach dem Sturz der sowjetischen Machthaber geriet Barchu in die Schußlinie der neuen Führung, weil er gegen den Krieg mit Armenien agitierte. Man drohte, ihn nach Iran abzuschieben, wo Mitglieder der Tudeh-Partei verfolgt werden. Mit seiner Frau floh er 1990 nach Deutschland.

Wenn die deutschen Behörden Barchu abschieben, so Elizabeth Reese von der Asylberatung der Heilig-Kreuz-Gemeinde in Berlin, müsse Aserbaidschan den „Staatenlosen“ nicht aufnehmen. Dann bliebe nur noch der Iran als nächster Abschiebeort. Auf jeden Fall müsse das Bundesamt noch einmal prüfen, so Reese, ob Barchu in beiden Ländern verfolgt werde. Seine Frau und die Kinder seien erst wirklich in Sicherheit, wenn Barchus Asylantrag angenommen werde. Nur dann bestehe ein Recht auf Familienzusammenführung. Ihr Mann befindet sich zur Zeit noch im Wohnheim. Sein Asylantrag soll nun neu bearbeitet werden. Zur Arbeitsweise des Bundesamtes und der Berliner Ausländerbehörde sagt Reese: „Die denken überhaupt nicht mit.“ Olaf Bünger