piwik no script img

Die Zeichen der Zeit Von Klaudia Brunst

Als vor einem Monat mal wieder im Hof zwei unserer Mülltonnen brannten, entschloß sich unser Hauswirt zu einer folgenschweren Erziehungsmaßnahme. Er weigerte sich, die fehlenden Entsorgungseinheiten zu ersetzen. Wir würden sowieso zuviel Müll erzeugen, meinte er. Mit ein wenig gutem Willen würde sicher auch eine Tonne reichen. Weder der Hinweis, daß unsere Hausgemeinschaft aus immerhin acht Mietparteien mit fünf Hunden, zwei Katzen und einem Kanarienvogel bestehe, noch der Vorschlag, aus gegebenem Anlaß und ökologischer Rücksichtnahme nun endlich zum Dualen System überzugehen, konnte ihn umstimmen. Wir sollten die Zeichen der Zeit erkennen, erklärte er spitz, und endlich mit der „Müllvermeidung“ beginnen.

„Irgendwie hat er ja recht“, fand meine Freundin, die für ökologische Radikallösungen schon immer etwas übrig hatte, „wenn's jeden Tag so weitergeht...“ „Hör mir auf mit diesem Spruch!“ keuchte ich – noch ganz atemlos von den Treppen – und stellte die beiden Mülltüten, welche ich noch eben in die verbliebene Tonne hatte stopfen wollen, wieder zurück in die Küche. Meine Nachbarn waren mal wieder schneller gewesen.

Wir entsorgten die beiden Tüten mittelfristig im Auto und hielten am Abend Krisenrat. Als erstes kam der Einwegmüll auf den Index. Ich verabschiedete mich von meinen Cola-Dosen und schweren Herzens auch von den leckeren Fünf-Minuten-Terrinen. Meine Freundin nahm sich vor, künftig weder Bananen noch Avocados zu kaufen und Äpfel nur noch mit Schale zu essen. Statt Kartoffeln sollte es nun Reis geben, den wir uns im Bioladen lose abfüllen lassen könnten. Unser Alltag wurde jetzt zwar etwas komplizierter, aber es ging. Wir entwickelten sogar einen gewissen Sportsgeist in Sachen Müllreduktion. So kann man zum Beispiel die Zahnpasta noch im Supermarkt aus der Tube in ein Einweckglas umfüllen. Der Handel ist dann nämlich seinerseits gezwungen, die Tube zu entsorgen.

Allein der Hund machte uns lange Ärger. Er wollte auf seine tägliche Chappy-Dose partout nicht verzichten. Nach intensiver Suche fanden wir ein amerikanisches Flockenfutter, das nicht nur extrem leicht ist und angenehm nach Bierhefe duftet, sondern auch den „Kotabsatz deutlich reduziert“. Nun macht auch der Hund mit beim Umweltschutz: Er kackt jetzt nur noch einmal pro Woche.

Ein Problem blieb das Altpapier. Die Stadtreinigung hat die Container nämlich im gesamten Viertel abgebaut. „Die wurden nicht mehr ausreichend frequentiert“, erklärte der zuständige Sachbearbeiter am Telefon. Praktisch der ganze Block sei mittlerweile an die bunten Wertstofftonnen angeschlossen. Zähneknirschend bestellten wir unsere Tageszeitung ab und legten uns einen Fernsehapparat mit Videotext zu. Das Altgerät ließen wir gleich vom Händler mitnehmen. Nichts ist komplizierter als die Entsorgung von Sondermüll.

Als es gestern mal wieder im Hof brannte, wäre fast das ganze Haus abgebrannt. Weil kein Müll mehr anfällt, war seit Wochen niemand mehr in den Hof gegangen. Und so hatten wir auch nicht bemerkt, daß unser Hauswirt schon längst ein Einsehen mit uns gehabt hatte: Was da brannte, war nämlich das „Duale System“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen