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Anschlag unter Aufsicht der Geheimdienste

■ Maison-de-France-Attentat: Syrien direkt beteiligt / Nicht nur Stasi wußte vom Anschlagsplan, sondern auch die Franzosen / Möglicherweise auch BND informiert

Berlin (taz) – Die syrische Regierung war direkt in das Attentat auf das Berliner „Maison de France“ im August 1983 verwickelt. Das ergibt sich aus der Aussage des persönlichen Referenten des syrischen Vize-Außenministers Mohamed Nabil Chritah. Der dreiundvierzigjährige Diplomat, der vor einer Woche nach Deutschland flüchtete und sich der Polizei stellte, war zur Tatzeit dritter Sekretär der syrischen Botschaft in Ostberlin. Vor dem Anschlag habe die Regierung in Damaskus die Botschaft angewiesen, der „Gruppe Carlos“, die die Tat organisierte, „jegliche mögliche Hilfe“ zu leisten, sagte Chritah aus. Wenige Tage vor dem Attentat, bei dem ein Mensch getötet und 23 schwer verletzt wurden, übergab ihm das heute in Syrien lebende Gruppenmitglied Johannes Weinrich den beim Attentat verwendeten Sprengstoff. Weinrich, der sich damals „Jean“ nannte und im Ostberliner Palast-Hotel wohnte, habe dann am Tag des Anschlags von Chritah verlangt, er solle die Sprengstofftasche in seinem Auto nach Westberlin transportieren. Als dieser sich weigerte, habe ihn der Botschafter persönlich auf die telegraphische Order aus Syrien hingewiesen. Später habe der mit einem Diplomatenpaß ausgestattete Weinrich den Sprengstoff persönlich über die Grenze nach Westberlin gebracht.

Dies ist möglicherweise eine Lüge, denn der Wagen Chritahs wurde am Tag des Anschlags zweifelsfrei in der Nähe des „Maison de France“ gesichtet. Der syrische Diplomat flüchtete offenbar aus Angst vor einer möglichen Ermordung als Mitwisser. Er hat inzwischen Asyl beantragt. Chritah hatte möglicherweise das Schicksal des unmittelbaren Bombenlegers vor Augen: Mustafa Al Sibai wurde nach Erkenntnissen des DDR-Geheimdienstes bereits 1987 im syrisch kontrollierten Teil des Libanons wegen „Spionage“ hingerichet.

Zugleich verdichtet sich der Verdacht, daß nicht nur die Stasi detailliert über das geplante Attentat informiert war und den Sprengstoff dafür übergab, sondern auch der Bundesnachrichtendienst (BND) und die Franzosen Kenntnis davon hatten. Letzteres ergibt sich aus dem Protokoll eines am Tattags von der Stasi abgehörten Telefonats zwischen einem italienischen Diplomaten und dem französischen Botschaftsrat Vaugier in Ostberlin. Aus dem der taz vorliegenden Protokoll geht hervor, daß die französische Botschaft einen Anschlag offenbar erwartete.

Der wegen Beihilfe zum Mord angeklagte ehemalige MfS- Oberstleutnant Helmut Voigt wird über diese Enthüllungen immer mehr zu einem Bauern in einem politischen Schachspiel. Nicht vorstellbar erscheint inzwischen, daß der für die Abteilung „Internationaler Terrorismus“ zuständige Voigt den Sprengstoff für das Attentat ohne Erlaubnis seiner Vorgesetzten an Weinrich übergab. Bricht Voigt sein bisheriges Schweigen, könnte er möglicherweise Stasi-Minister Mielke und dessen Stellvertreter Wolf und Neiber direkt belasten. Inwieweit auch der BND vom Anschlag wußte, soll die von den Anwälten der Nebenkläger beantragte Vernehmung des damaligen BND- Chefs Richard Meier klären. Hintergrund: Der Vorgesetzte Voigts, der Stasi-Oberst Franz, soll BND- Agent gewesen sein. Gerd Nowakowski

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