Editorial
: Die Veränderung politischer Kultur

■ Frauenmehrheit im Berliner Senat: Eine Langzeitstudie

Mit dem rot-grünen Senat Berlins, der von März 1989 bis November 1990 die Stadt regierte, übernahm in Deutschland erstmals ein Parlament mit deutlicher Frauenmehrheit die politische Macht – und zwar mit einer Riege von Senatorinnen, die frauenpolitischen Anliegen einen hohen Stellenwert beimaßen.

Können solche Frauen innerhalb des patriarchalen Systems die politische Kultur verändern? Mit einer detaillierten Langzeitstudie ging Barbara Schaeffer-Hegel, Professorin an der Berliner Technischen Universität, dieser Frage nach. Ansätze zu solchen Veränderungen, so ihr Ergebnis, ließen sich überall finden: sei es im Hinblick auf frauenpolitische Inhalte, auf den Führungsstil oder auch bei den neuen Vernetzungsstrategien der Senatorinnen. So entwickelten alle acht innerhalb ihrer Verwaltungen erfolgreich einen kooperativen und prozeßbezogenen Führungsstil, was von den MitarbeiterInnen innerhalb der Verwaltung positiv an/aufgenommen wurde. Und: Herrscht in männlichen Führungsetagen in der Regel „Ressortegoismus“ vor, so versuchten die Senatorinnen, ihren Vorstellungen von gesellschaftlicher Verantwortung gerecht zu werden – und zwar mit ressortübergreifendem Weitblick. Daß ein solches Verhalten innerhalb der institutionellen Politik nicht wohlgelitten ist, bekam Anke Martiny (SPD) sofort zu spüren. Die Kultursenatorin hatte unter dem Eindruck der massiven sozialen Probleme, welche die Wiedervereinigung mit sich brachte, gesagt, im Zweifelsfalle müsse der Wohnungsbau eben Vorrang vor der Kultur haben. Diese Äußerung brachte ihr prompt einen Aufschrei der Empörung ein. Denn wer nicht aufs eigene Ressort schaut, gilt schnell als inkompetent und politikunfähig.

Mit ihrem „Hexenfrühstück“ kreierten die Senatorinnen darüber hinaus eine parteiübergreifende Zusammenarbeit, bei der die Absicherung vom Denken über die eigene Ressortgrenze hinweg im Vordergrund stand. Eine zweite Initiative karriereunabhängiger Vernetzung war der sogenannte „Rat der Frauen“, den die Frauensenatorin Anne Klein ins Leben rief. Dieser sehr heterogene Zusammenschluß aus allen Bereichen der Berliner Frauenbewegung scheiterte. Er führte zu keiner Stärkung der Senatorin, zu keiner politischen Anregung, sondern kulminierte in dem Wunsch einiger Berliner Feministinnen, Anne Klein möge zurücktreten.

Dennoch kommt Schaeffer- Hegel zu dem Schluß: „Das Bestehen wirksamer und solidarischer Frauenvernetzungen in der Politik – über Parteigrenzen hinaus – muß mit Sicherheit als einer der wichtigsten Ansätze zur Veränderung unserer politischen Kultur gewertet werden.“ flo

Eine Zusammenfassung der DFG-Studie erscheint demnächst unter dem Titel „Frauen an der Macht. Zum Wandel der politischen Kultur durch die Präsenz von Frauen in Führungspositionen“, Centaurus Verlag, Pfaffenweiler, 1994.