Matthäus als Entertainer

■ Kampnagel: Umjubelte Premiere des Dresdner Statt-Theaters

Bach? Matthäus-Passion? Kreuzigung Jesu? Mit falscher Heiligkeit hat das Dresdner Statt-Theater Fassungslos nichts am Hut. In der begeistert aufgenommenen Hamburger Erstaufführung Passion- eine Versenkung nach Matthäus am Sonntag abend auf Kampnagel nimmt das letzte aus DDR-Zeiten übriggebliebene Off-Theater Dresdens alles auf die Schippe, was nicht niet- und nagelfest ist: „Jesus mußte nicht leiden, er starb am Kreuz“. Blasphemie? Nicht doch, denn gemein ist höchstens, “wer beim Kreuzigen mit den Nägeln geizt“. Zunächst scheinen die sieben Musiker willig, sich der Bachschen Matthäus-Passion zu widmen, wenngleich sie schon verstört ihre Plätze suchend den für ein großes Orchester ausgestatteten Bühnenraum betreten. Gespielt werden dann jedoch vorwiegend individuelle Befindlichkeiten, was sich allerdings folgerichtig aus der zuvor vom Dirigenten (Ulrich Schwarz) bruchstückhaft erzählten Passions-Geschichte zu ergeben scheint. „Meine Schultern sind zu schwach, um diesen Himmel zu tragen, mit Gott darin, den vielen Engeln und Trompeten“, so die Mezzosopranistin Andrea Thelemann - ihrer hervorragenden Stimme scheint einzig der Chor als Begleitung zu fehlen, der allerdings vom Band dazugespielt wird. In einer Mischung aus gekonntem Entertainment, kabarettistischen und die Matthäus-Passion verfremdenden musikalischen Einlagen (Vertonung: Bertram Quosdorf) zeigen die Dresdner Schauspieler modernes Theater auf hohem Niveau. Aus der Alltagsphilosophie der Schauspieler lernen die Zuschauer, was sie schon wußten, aber nie so exakt hätten ausdrücken können:“Eine Frau würde sich nie ans Kreuz schlagen lassen“, so gibt Bertram Quosdorf seine Kenntnisse über das liebreizende Wesen der Frau zum besten. Auch die Liebe als letzte verzweifelte Bastion kann sich nicht retten, denn „ausgerechnet der Mensch ist unmenschlich“. Schade eigentlich - aber immerhin: Er hat Humor.

Simone Ohliger