Jenseits der Kitschgrenze

■ Eine Veranstaltung zum Fall Fussenegger in Heidelberg

Friedrich Denk, Studiendirektor in der oberbayerischen Stadt Weilheim, ist „der beste Literatur- Impresario der Welt“. Das glaubt zumindest der Heidelberger Ordinarius Prof. Dieter Borchmeyer, der die wild entschlossene Literaturbegeisterung Denks zu nutzen weiß. Denk hat es sich nach Jahrzehnten am Weilheimer Gymnasium zur Lebensaufgabe gemacht, die Werke der umstrittenen österreichischen Schriftstellerin Gertrud Fussenegger gegen den Rest der Welt zu verteidigen. 30 Bücher, so gestand Denk auf einer Podiumsdiskussion in Heidelberg, habe er von Gertrud Fussenegger gelesen (!); nun werde er eine Promotion über die große Dichterin schreiben und ihre österreichischen Kritiker zur Fußnote degradieren.

Was Denk in seine besinnungslose Fussenegger-Begeisterung getrieben hat, ist die hitzige Debatte, die nach der Verleihung des bayerischen Jean-Paul-Preises und des Weilheimer Literaturpreises an die aus der Bedeutungslosigkeit hervorgeholte alte Dame losbrach. Urplötzlich hatte die in Langeweile und Überdruß erstickende literarische Welt wieder ein Thema: Ist Gertrud Fussenegger eine „große österreichische Erzählerin“ (Borchmeyer) mit verzeihlichen Jugendsünden, oder eine „hochgradige Antisemitin“ (Christian Michelides), die mit „altfaschistischem Gedankengut“ hausieren geht?

Gefahr von rechts außen witterte jedenfalls ein studentischer „Arbeitskreis Antifaschismus“ an der Uni Heidelberg, der im Dezember wild protestierend ein Seminar Borchmeyers, des medienwirksamsten Fussenegger-Freundes, stürmte. Der weigerte sich zwar, sich von seiner Fussenegger- Option öffentlich zu distanzieren, erklärte sich aber dazu bereit, auf einer Podiumsdiskussion die „große Dichterin“ zu verteidigen. Trotz Denks Fussenegger-Ekstasen geriet diese Diskussion, die am Montag in einem vollbesetzten Hörsaal der Heidelberger Universität stattfand, fast zu einem Debakel der Fussenegger-Gegner. In zappelndem Entlarvungseifer wurde immer wieder die Kontinuität rassistischen Denkens bei der Fussenegger behauptet, ohne das an den inkriminierten Texten überzeugend nachweisen zu können. Auf dem Podium vermochte einzig Peter Gstettner, Pädagogik- Professor aus Klagenfurt, den überlegenen Textkenntnissen Borchmeyers einschlägige Fussenegger-Zitate entgegenzusetzen, deren antisemitische und rassistische Konnotationen auch durch heftigstes Kopfschütteln Borchmeyers und Denks nicht zu beseitigen waren.

Die Fakten hat Gstettner auf seiner Seite: Es gibt die frühe NSDAP-Mitgliedschaft Fusseneggers (ab 1.5. 1933), es gibt die „Jubelgedichte auf den Führer“ (Stimme der Ostmark), es gibt die unverhüllten Antisemitismen in den 1944 erschienenen „Böhmischen Verzauberungen“ und die doppelbödigen Distanzierungen von der eigenen NS-Vergangenheit in der Autobiographie „Ein Spiegelbild mit Feuersäule“ (1979). Aber politischer Opportunismus à la Fussenegger läßt sich – in unterschiedlichem Ausmaß – auch bei anderen prominenten Autoren der „inneren Emigration“ finden: bei Günter Eich, Peter Huchel, Karl Krolow, Johannes Bobrowski und anderen.

Niemand der Heidelberger Diskutanten hat indes wahrnehmen wollen, wo das eigentliche Problem der Dichterin Gertrud Fussenegger liegt: Sie schreibt schlecht. Zumindest im Falle der 1937 veröffentlichten „Mohrenlegende“, um deren politische Implikationen ausgiebigst gestritten wurde, haben wir es mit einem pathetisch aufgeblähten Sprachgebilde zu tun, das in jedem zweiten Satz die Kitschgrenze überschreitet. Mit beschwörender Gestik erklärte Maestro Friedrich Denk die „Mohrenlegende“ nicht nur zu einem ergreifenden, ja „rührenden“ Text, sondern stilisierte ihn auch absurderweise zu einem der „wenigen Widerstandsbücher gegen das NS- Regime“. „Da begann es mit einem Male vor ihm zu gleißen und zu funkeln“, heißt es in diesem seltsam aufgeplusterten Text, „und es tat sich vor ihm auf wie ein Tor, in dem tausend Kerzen brannten, ein unsäglich warmer, milder Schein floß von dort in die kalte Nacht; himmlischer Gesang schwoll ihm entgegen und ein Duft wie von Blüten und Früchten und der heimatlichen Flur.“

Wenn hier etwas „funkelt“ und „gleißt“ und „fließt“ und „schwillt“, dann ist es der „unsägliche“ Kitsch, der eine Gertrud Fussenegger selbst dann unerträglich macht, wenn man ihr das Liebäugeln mit dem Faschismus verzeiht. Michael Braun