Sozialhilfe: Recht oder Luxus?

■ Bürgerschaft debattierte über die Zukunft der sozialen Sicherheit

Für Sozialpolitik ist in der Bremer FDP-Fraktion eigentlich Annegret Pautzke zuständig. Als die gestern im Parlament zum Thema „Zukunft der sozialen Sicherung“ sprechen sollte, erklärte sie nach einem kurzen Präludium: „Mein Kollege Ziegler wird die Debatte fortsetzen.“

Das kam für viele ParlamentarierInnen überraschend, weil Ziegler bei der FDP für Wirtschaft zuständig ist. Sozialsenatorin Irmgard Gaertner (SPD) war sogar so gespannt auf die Ausführungen des Wirtschafspolitikers, daß sie ihm in der Redeliste den Vortritt ließ. Zieglers Sozialpolitik sah dann so aus: Geht's der Wirtschaft gut, ist auch Geld für Sozialleistungen da. Konsequenz: Bremen soll „produktive Grundlagen für die Wirtschaft“ schaffen. Zu viel Geld würde für Soziales ausgegeben, viel zu wenig für die Wirtschaftsförderung getan. „Im Zweifelsfall sind Arbeitsplätze wichtiger als Kindergartenplätze.“

Das fand Sozialsenatorin Gaertner dann doch etwas schräg. Erstens sei Sozialpolitik zwar eine kommunale Aufgabe; der Rahmen aber werde in Bonn geschnitzt. Zweitens: Sinkende Steuereinnahmen würden den Haushalt viel mehr belasten als steigende Sozialausgaben. „Sozialpolitik ist immer antizyklisch“ und werde deshalb vor allem dann gebraucht, wenn die Wirtschaft schlappmache. Die ständige Diskussion um die Höhe der Sozialleistungen sei „unerträglich“, die Betroffenen würden dadurch diskriminiert. Es gehe in der Sozialpolitik nicht um die Verteilung von Almosen, sondern um die Sicherung eines Rechtsanspruchs auf Hilfe. „Sozialer Frieden und soziale Sicherheit sind letztlich auch Standortfaktoren für die Wirtschaft in Bremen“, meinte die Sozialsenatorin.

Karoline Linnert (Bündnis90/ Die Grünen) fühlte sich in der Debatte um die Kürzung der Sozialleistungen an die Asyldebatte erinnert: „Es wird solange darauf herumgeritten, bis ein Grundrecht abgeschafft ist.“ Sozialpolitik sei maximal noch etwas „für die Frauen in den Fraktionen und ein paar Experten“, ein „Tummelfeld für barmherzige SamariterInnen“. Diese Auffassung stehe im Gegensatz zur tatsächlichen Dringlichkeit der sozialen Sicherung. Über die Hälfte aller BremerInnen seien mittlerweile von irgendeiner Form der öffentlichen Hilfe abhängig. Angesagt seien deshalb Konzepte, welche Standards der sozialen Sicherheit gewährleistet und finanziert werden sollen.

Man dürfe sich nichts vormachen, meinte die sozialpolitische Sprecherin der SPD, Elke Steinhöfel: Trotz Sozialhilfe „leben die Menschen, die darauf angewiesen sind, am Rande der Menschenwürde.“ Steinhöfel erinnerte daran, daß die Sozialhilfe ursprünglich einmal als kurzfristige Notbörse eingerichtet worden war (1961). Mittlerweile beziehen die Betroffenen das Geld im Durchschnitt 33 Monate. Das Thema Armut werde vor allem von der Bundesregierung tabuiesiert und weggeredet, bei der CDU herrsche „soziale Kälte.“

Roswitha Erlenwein von der CDU fand das zu allgemein und dünn. 17,1% Arbeitslosigkeit in Bremerhaven, 13,1 in Bremen seien die Schlüsselzahlen für die soziale Schieflage vieler BremerInnen: „Das kann nicht nur mit der Lage Bremens zu tun haben, sondern muß auch mit der Politik der Koalition zu tun haben.“ Die Koalition flüchte vor solchen Wahrheiten in „Binsenwahrheiten“ und „allgemeines Geschwafel“. mad