Kumpel und Kompetenz

■ Grimme-Institut diskutiert: Deutsche Selbst- und Fremdbilder in den Medien

„Höchstens Sport“ schaue er sich derzeit im Fernsehen an, „auf keinen Fall Nachrichten“. Der Mann, der da vergangenen Donnerstag auf einem Forum des Marler Adolf-Grimme-Instituts über die deutsche Fernsehwirklichkeit in Ost und West mit einer gehörigen Portion Galgenhumor seinem Fernsehfrust Luft machte, hatte seine Gründe. Gerhard Jüttemann, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender der Kalikumpel von Bischofferode, war vor allem auf die Westsender nicht gut zu sprechen. Zwar seien da während des Hungerstreiks scharenweise Kamerateams aus dem Westen angereist, aber denen sei es geradezu sensationslüstern allein um den Hungerstreik gegangen. Die politischen Hintergründe des Konflikts und die Forderungen der Belegschaft seien in ihren Berichten kaum vorgekommen.

Trennkost statt Einheitspudding

Wenn auch als ein auf besondere Weise Betroffener artikulierte Jüttemann hier ein Unbehagen, das viele seiner Landsleute in den neuen Ländern teilen: Ihrer Situation und Befindlichkeit wird in den überregionalen Fernsehprogrammen zuwenig Beachtung geschenkt. Und wenn, dann vielfach unangemessen, weil immer noch vorwiegend Westler über Ostler berichten. Ein Umstand, den Johann-Richard Hänsel, Chef vom Dienst von ARD-Aktuell, für die Nachrichtensendungen der ARD mit der Situation unmittelbar nach der Wende zu legitimieren versuchte. In der DDR habe es bekanntlich nur einen Verlautbarungsjournalismus gegeben und somit auch keine qualifizierten Reporter, die ad hoc einsetzbar gewesen seien.

Eine Einschätzung, der der Hamburger Journalist Otto Köhler vehement widersprach. In den Programmen, die der Deutsche Fernseh-Funk (DFF) bis zu seiner Abwicklung Ende 1991 gemacht habe, sei ein Maß an journalistischer Kompetenz und Kreativität deutlich geworden, das dem der öffentlich-rechtlichen Anstalten- West mindestens ebenbürtig gewesen sei. Daß es bis heute eine real existierende West-Ost-Asymmetrie in der überregionalen Berichterstattung gibt, wollte denn schließlich keiner der Diskutanten ernsthaft bestreiten. Indem Elke Hockerts-Werner, Inland-Chefin beim WDR-Fernsehen, einräumte, daß da anfangs viele Journalisten nur ungenügend vorbereitet von West nach Ost gepilgert seien, berührte sie ein grundsätzliches Dilemma. Die, die damals ausschwärmten, um über bis dato kaum bekannte Gegenden und Menschen zu berichten, waren sich selten der Tatsache bewußt, daß sie da eine gehörige Altlast in Form einer über Jahrzehnte trainierten Perspektive-West auf das „schon immer zum Scheitern verurteilte“ Deutschland-Ost im Tornister hatten. Hinzu kam schließlich, daß ihre ethnologischen Erkundungen plötzlich in das Ressort Inland fielen, sie nicht nur Berichte über, sondern auch für dieses neu entdeckte Volk abliefern sollten.

Eine Quadratur des Kreises, die noch geraume Zeit Bestand haben dürfte. Denn solange nicht auf anderen Ebenen zusammenwächst, was da zusammenwachsen soll, wird auch ein gesamtdeutsch konsensfähiges Fernsehprogramm jenseits von „Traumhochzeit“ und „Happy Holiday“ eine hehre Illusion bleiben. Volker von der Heyd, Ressortleiter beim ORB, erschien diese Einheitsperspektive denn derzeit auch gar nicht wünschenswert. Er forderte statt dessen mehr regionale Berichterstattung in den Dritten. Anstatt eines schwer verdaulichen Deutschlandpuddings also mehr nahrhafte Trennkost, die vielleicht auch Gerhard Jüttemann etwas besser munden dürfte. Reinhard Lüke