Das Karma ist identisch

Die Sixties according to Oliver: Stones „Zwischen Himmel und Hölle“, der vorerst hoffentlich letzte Beitrag zur Vietnam-Trilogie, lokalisiert Freund und Feind im Innern des Landes („der Vietnamese in uns“)  ■ Von Manfred Riepe

Der hat Benjamins „Dynamit der Zehntelsekunde“ verdammt wörtlich genommen: Oliver Stones erster Erfolgsfilm „Salvador“ (1986) beginnt mit aggressiv hämmerndem Bildstakkato. Die ersten 20 Minuten von „JFK“ (1991) sind im Zwei-Sekunden-Rhythmus geschnitten. Selbst bei harmlosen Dialogszenen in „Wallstreet“ (1987) vollführt die Kamera Veitstänze um die Protagonisten: Oliver Stone dreht Filme, bei denen die Kraft nicht aus der Ruhe kommt. Das Flächenbombardement in Südostasien hat der Drehbuchautor, Regisseur und Vietnamveteran konsequent mit den Mitteln des Lichtspiels fortgeführt.

Mit seinem jüngsten Machwerk „Zwischen Himmel und Hölle“ vollendet er seine Vietnam-Trilogie. Themenwahl und Ästhetik greifen ineinander; Stone rüstet zum Totalangriff wider den Zuschauer; „Mißbrauch von Heeresgerät“ ist gar kein Ausdruck. Nach einem Stone-Film fühlt man sich, „als hätte man eine Packung Valium mit einer Flasche Sekt auf Ex runtergespült“, meint die entnervte Kollegin Sabine Horst.

Stones Belagerung der Sinne steht jedoch nicht im Dienst simplen Action-Kinos. Stone ist nicht Stallone. Er schreibt seine Bücher selbst, denn er verfolgt eine Mission. Um den Mythos des ruhmreichen Amerika aus dem Geist der 60er Jahre zu begründen, hat Stone in seinen bislang neun selbst inszenierten Filmen zwar viele verschiedene Stoffe aufgegriffen. Erzählt hat er jedoch immer dieselbe Geschichte: die Geburt der Nation aus den unschuldigen Sixties. Ein ums andere Mal stellt Stone uns den guten US-Amerikaner jener Jahre vor: Der Soldier Tom Cruise aus „Geboren am 4. Juli“, der schöne wilde Jim Morrison, der hartnäckige Aufrechtler Garrison aus „JFK“.

Dieser good guy steht jeweils so sehr im Mittelpunkt, daß die Schauplätze ringsum zum Ornament gerinnen. Jeder James- Bond-Film bringt ehrlicheres Interesse für seine Locations auf als Stone. Trotz der gnadenlosen Nähe vermittelt er nämlich nie eine Innenperspektive seiner Figuren; sie bleiben Charaktermasken, Missionsträger.

Bei so viel Wahrheit weiß man schon bald nicht mehr, was überhaupt Sache ist. Ein Überblick über das gesamte Geschehen wird nicht gewährt; es gibt (fast) keine ordnenden Totalen. Für diesen Stil zeichnet Stones Kameramann Robert Richardson verantwortlich, der vom Dokumentarfilm kommt und den Filmen ihre reportagenhafte Atmosphäre verleiht. Als würde er durch die unmittelbare Nähe verglühen, wird der Zuschauer ständig durch manieristisch eingesetzte Weißblenden sprichwörtlich verblendet.

Das Material für diese Blendungen bezieht Stone nicht zufällig aus dem Geiste der 60er Jahre: Nachdem in den 50er Jahren der Geräteabsatz abgeschlossen war, etablierte in den 60ern das Fernsehen die Formensprache, die Stone in seinen Filmen gezielt assimiliert. Im Grunde ist er kein Kinoregisseur, denn er behandelt die Leinwand wie einen Fernseher mit Großaufnahmen und schnellen Schnitten; graphische Aufteilung und innere Montage des Bildes sind nicht möglich. Die Hypertrophie der Bewegung in Wort und Bild ist bei Stone Ersatz für fehlendes Erzählen. Statt dessen bildet er reportagehaft ab: Der Krieg in „Platoon“, die verkrüppelten Vietnamveteranen in „Geboren am 4. Juli“ und die Bühnenexzesse Jim Morrisons in „The Doors“ werden von politisch-historischen Kontexten gereinigt und zu Naturgewalten stilisiert.

Obzwar „Zwischen Himmel und Hölle“ eine Zeitspanne von 40 Jahren behandelt, ist der Film alles andere als ein Epos. Stones kürzester Film „Talk Radio“ begnügt sich mit „nur“ zwei Stunden, alle anderen dauern zwischen drei und vier Stunden. Trotz dieser großen Distanz verfolgt Stone nie einen längeren dramaturgischen Bogen. Mit Grund: Über das kürzliche TV-Erdbeben in L.A. berichtete FR-Korrespondent Rolf Paasch: „Aus der Luft wie bei den Rassenunruhen von South Central Los Angeles oder mit beweglichen Handkameras wie bei den jüngsten Buschbränden von Malibu verfolgten Reporter das Geschehen so hastig, als dirigierte hier Oliver Stone die Einstellungen.“ – Kehrt man den Vergleich um, so macht Stone nichts als Reality-TV im Spielfilm- Format. Nicht zufällig ist seine Dramaturgie an jenem Acht- bis Zwölf-Minuten-Rhythmus orientiert, nach dem im Fernsehen jeweils die Unterbrecherwerbung folgt. Seine Filme sind aufgebaut wie aneinandergestückelte Episoden einer TV-Serie, denn Kino ist immer nur Fiktion und daher irrelevant; Fernsehen macht Wirklichkeit.

Die „authentische“ Geschichte seines neuesten Machwerks „Zwischen Himmel und Hölle“ basiert auf autobiographischen Büchern von Le Ly Hayslip, verkörpert von der Laiendarstellerin Hiep Thi Le. Le Ly wird 1949 in einem kleinen Dorf in Zentralvietnam geboren. Als dort 1965 die ersten US-Amerikaner aus ihren Hubschraubern steigen, sind sie natürlich nicht die ersten Aggressoren, die über das Land kommen wie Naturgewalten.

Le Ly ist eine von den Vietcong ausgebildete, toughe Guerillakämpferin. Die Vietcong-Soldaten stellt Stone zunächst als romantische Rote dar, die moralisch integer für ihr Land kämpfen. Als Le Ly von südvietnamesischen Regierungstruppen gefangen genommen und bestialisch gefoltert wird, bestätigt Stone diese Sicht zunächst. Die krasse Brutalität, die der Film hier dem Zuschauer zumutet (die natürlich nie von GIs, sondern nur von vietnamesischen Soldaten ausgeübt wird), soll vor allem zeigen: Le Ly hält der bestialischen Folter stand. Was die Vietcong-Soldaten ihr hinterher nicht glauben und in ihr eine Verräterin sehen. Statt sie zu erschießen, nehmen sie ihr die Würde, vergewaltigen sie. Obwohl das Presseheft „Zwischen Himmel und Hölle“ als „weniger politisch“ ausweist, sind die Roten bei Oliver Stone stets die eigentlichen Teufel. Auch die Revolutionäre in „Salvador“ veranstalten als erste Amtshandlung nach ihrer kurz währenden Machtübernahme eine Massenerschießung.

In diesen Höllenspektakeln gibt es stets einen Erlöser, der für die richtige Sache stirbt. In „Platoon“ (1986) war es der mit einem Heiligenschein ausgestattete Willem Dafoe. In „Talk Radio“ (1988) schwätzt Barry Champlain pathetische Plattitüden in den Äther und wird am Ende von einem Antisemiten erschossen. In „The Doors“ (1991) verkürzt Stone den Mythos Jim Morrison auf die Geschichte eines todessehnsüchtigen Poeten mit einem Alkoholproblem, der Andy Warhol als kleine Jungs befingerndem Widerling gegenübersteht. Die härteste Nummer ist jedoch „JFK“ (1991): Auf der Grundlage des spekulativen Buchs von Jim Garrison stilisiert Stone John F. Kennedy – der, wäre er keinem Attentat zum Opfer gefallen, sicher nicht als der heroische Hoffnungsträger in die Geschichte eingegangen wäre – sprichwörtlich zum Antifaschisten, der im Namen einer antiamerikanischen Verschwörung gemordet wurde. Weil diese Jungs alles gegeben haben, sogar ihr Leben, muß das Land, in dessen Namen sie fielen, GUT sein.

Das ideologische Amalgam, das seine Filme zusammenhält, besteht darin, daß sich eben doch das Richtige im Falschen tun läßt. Und dieses Richtige ist – hätten Sie's gedacht – Amerika. Auch Steve Butler in „Zwischen Himmel und Hölle“ muß ans Kreuz. Nachdem Le Ly mit ihm in die Staaten gegangen ist, stellt sich heraus, daß auch er ein Killer ist, der jetzt unter schlechtem Gewissen leidet. Auch er hat in Vietnam Kinder gemordet – aus Versehen allerdings nur, wie Tom Cruise in „Geboren am 4.

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Juli“ irrtümlich einen Kameraden erschießt. „Wir haben nicht gegen den Feind gekämpft, sondern gegen uns selbst. Der Feind war in uns.“ So Martin Sheen in „Platoon“.

So wird die Sühne zum Akt der Befreiung vom inneren Feind. Auch Steve Butler sühnt. Le Lys buddhistischer Meister bekräftigt ihre Vorstellung, Le Lys und Butlers Karma sei identisch. Daher rät der Mönch ihr, sie möge Butler für seine Greueltaten in Vietnam vergeben. Andernfalls hätte sie selbst in ihrem nächsten Leben einen schlechten Start. Sie vergibt also, und Butler bringt sich um. Stone schildert dies als eine Art „faire Geste“.

Inzwischen macht Le Ly als vorbildliche Repräsentantin einer invadierten Nation (sie ist Nordvietnamesin) in den Staaten eine Menge Geld. Am Ende kehrt sie in ihre Heimat zurück, und in einer seltsamen Seance taucht der Geist Butlers schattenhaft auf: Endlich ist der arme Killer erlöst: „Zwischen Himmel und Hölle“ mixt auf krude Weise Buddhismus mit Katholizismus und gibt eine fragwürdige Antwort auf den Vorwurf, alle US-amerikanischen Vietnamfilme seien aus der Perspektive der GIs gedreht. Für den Abschluß seiner Trilogie suggeriert Stone, nicht nur die Sicht der Vietnamesen einzunehmen. Darüber hinaus gibt der Film sogar vor, die Erlebnisse einer Frau zu schildern. Im Gegensatz zu seinem Lippenbekenntnis („Dieser Film drückt die Hoffnung auf eine multikulturelle Gesellschaft auf diesem Planeten aus“), vertritt der Film jedoch niemals die Interessen der Vietnamesen.

Selbst wenn die kleine Asiatin einmal vor dem großen Doppelkühlschrank in Butlers Haus steht und sich beim verschwenderischen Essen sagen lassen muß: „Denk doch an deine hungernden Brüder und Schwestern in Vietnam und iß“, will Stone keine Kritik am Konsumtempel. Er ist Stratege. Mit der Drangsalierung Le Lys steigt nur der Wert ihrer Vergebung. Die Opfer vergeben den Tätern, die – so will es Stone – obendrein nie Täter, sondern selbst Opfer waren. Wer jetzt für was die Schuld trägt, weiß man nicht. Dafür macht Stone seine Filme.

„Zwischen Himmel und Hölle“, Regie: Oliver Stone, Kamera: Robert Richardson, Mit: Tommy Lee Jones, Joan Chen, Haing S. Ngor, USA 1993, 135 Min.