Schwan mit Schwimmflossen und Tutu

■ Selbstmordvariationen, inszeniert von Armin Petras mit der Medea-Company

In den Augen trägt er Trauer, der schmächtige Mann in dem braunen, etwas zu engen Anzug, mit der roten, etwas zu großen Krawatte. Wie ein geprügelter Straßenhund steht er da und blickt durch uns hindurch zurück in das Leben, das ihn ausgestoßen hat. Selbstverständlich hat der Mann keinen Namen, oder er müßte wohl alle Namen tragen. So durchschnittlich ist sein Leidensweg, den er uns in ungeordneten Erinnerungen entgegenschleudert. In kurzen, spitzen, grausamen Sätzen in der dritten Person Singular. „Er- Sätze“, die das alltägliche Elend er- fassen: unglücklich verliebt, glücklich verhaßt; vergeblich versucht, seiner Frau zu entkommen; schließlich von ihr verlassen. Ein Mann, allein in seiner ganzen Nichtigkeit und Einsamkeit und Verlorenheit. Eine innerlich zerbrochene Kreatur, nur notdürftig zusammengeflickt – von einem zu engen Anzug und einer zu großen Krawatte.

„Schwarz – ein Schnitt“, so heißt das Drama, dem der Unglückliche entsprungen ist und das die Medea-Company in Koproduktion mit dem Kleist-Theater Frankfurt (Oder) im Oktober letzten Jahres uraufführte. Jetzt ist es in Berlin zu sehen. Fritz Kater (ein schönes Pseudonym) hat drei Lebenswege zu einem todschwarzen Stück verbunden: drei Untergeher kurz vorm Untergehen. Drei biographische Skizzen, die doch in der Inszenierung von Armin Petras einen kleinen großen Theaterabend machen: eine Zustandsbeschreibung bestimmt, ein Aufschrei vielleicht, mitleidloses, genaues Schauspiel mit Sicherheit.

Am Anfang – der an Franz Jungs ungeschliffenes Drama „Kameraden“ angelehnt ist – gehört die sparsam mit einer Häuserfront versehene Bühne allein Dirk Altmann. Nur ironisch unterbrochen von „Je t'aime“-Musik, verleiht er dem Hoffnungslosen sein Gesicht. Er trägt die Blässe der Melancholie, er lacht das leere Lachen des Rausches, er kriecht, whiskygetränkt am Boden, kurz vor der erlösenden Ohnmacht.

Dann stehen zwei glitzernde Mädels vor einer Spiegelwand auf der Szene. Bald fuhrwerken sie mit einem Einkaufswagen herum, bald wälzen sie sich in Zitronen, bald tanzen, bald spielen, sprechen, schreien sie uns ihre Geschichte entgegen. Eine ganz banale Geschichte ist auch das wiederum. Sie handelt von Teenies, Heiminsassen, die von der großen Welt der Rockstars schwärmen, durch Discos ziehen, von starken Typen in Amischlitten vergewaltigt und in der Schule gedemütigt werden. Immer spielen dabei auch „rote Schuhe“ eine Rolle, die sie wie das sündige Mädchen aus Andersons gleichnamigem Märchen zu stolz tragen: eine matte Glasperle aus der reichen Welt von Glanz und Glamour.

Diana Neumann und Nicolette Krebitz zeigen die Mädels mit Trotz und Lebensgier. Sie haben die nötige Naivität, um ohne Tränen ins Verderben zu springen. Sind tapfer und voller Hoffnung bis zum nächstens Schlag. Tanzen, auch wenn der Tanz in den Punk übergeht und immer wieder zum Zusammenbruch führt.

So endet auch der letzte Mensch, den Fritz Kater uns im Untergangsfinale „Dirty Wings“ vorführt. Ein Ingenieur, der sich im Gegensatz zu seinen Vorrednern schon aufgegeben hat, nicht mehr von seinen großen Kämpfen und großen Niederlagen berichtet. Mit Angel, in Trainingshose sitzt er (aufreibend gespielt von Meinolf Steiner) auf einem Klappstuhl und sucht nur noch seine Ruhe vor dem Müll der Zivilisation. Scheinbar ein zufriedener Verlierer.

Doch dann watschelt, in Schwimmflossen und Tutu, ein Schwan auf die Bühne. Und während sich der Ingenieur wundert, warum der Schwan nicht fliegt – hat er schmutzige, ölige Flügel? –, bricht der Jammer aus der Jammergestalt heraus, wie der Eiter aus einer aufgeplatzten Wunde.

Der Ingenieur schimpft über die Videogesellschaft, über die Lügenmedien, über das Leben im allgemeinen und besonderen. Und schließlich startet er einen letzten Versuch zu fliegen, einfach abzuhauen und flattert herum, gleich einem flügellahmen Schwan. Doch wie der berühmte Torpedokäfer des Franz Jung landet auch er nach jedem Ausbruchsversuch immer wieder auf dem Boden. Es gibt halt kein Entkommen. Dirk Nümann

„Schwarz – Ein Schnitt“ von Fritz Kater. Regie: Armin Petras, Bühne: Olf Kreisel. Mit Dirk Altman, Nicolette Krebitz, Diana Neumann und Meinolf Steiner. Noch heute und morgen, 20 Uhr, Medea-Company in der Studiobühne Wedding am Nauener Platz.