Dialektik ahoi!

Bodo Morshäuser haut antifaschistische „Guhtmenschen“. Der Beste von ihnen beschwert sich  ■ Von Walter van Rossum

„Gebildete brauchen Dumme. Daran erkennt man ihre Dummheit.“ Wie? Die Dialektik lebt also noch? Dann heißt Hegel jetzt Morshäuser. Und aus der hohen Kunst der Nichtidentität ist Instant-Schlaumeierei geworden.

Solche Sätze weisen mich natürlich als Gebildeten aus – und damit als besonders Doofen. Und von da habe ich es dann nicht mehr weit zum „negativen Nationalisten“ und zum „positiven Rassisten“. Schlimmer noch – und einsamer Gipfel der Morshäuserschen Diagnostik: wahrscheinlich bin ich als besonders prächtiges Exemplar der Gattung „guter Mensch von Deutschland“ zu erkennen. Humorist seines Zeichens, schreibt Morshäuser auch „die guhten Menschen von Deutschland“.

Mit solchen Menschen wie mir will Bodo Morshäuser nicht mehr sprechen. „...Martergespräche. Die mit Skinheads waren eher lustig, weil nicht schlau und etwas drumrum formuliert, sondern geradezu geredet wurde.“ Da hat der Ritter der Gefallenen aber Glück gehabt, daß überhaupt geredet und nicht „geradezu“ draufgehauen wurde. Aber das ganzseitige Autorenportrait, Morshäusers gesammelten Eingebungen vorangestellt, setzt uns darüber ins Bild: Es spricht ein tougher, cooler, blonder Boy im Jeanshemd, kein Opa, kein Krüppel, kein Türke, kein Obdachloser. Da fällt es leichter, geradaus mit den Bösen zu reden als krumm mit den „Guhten“.

Ich schlage also vor: Wenn's brennt, wenn Penner abgefackelt und Linke verdroschen werden – Morshäuser einfliegen. Der redet mit den Jungs. Die verstehen ihn. Er versteht sie. Mich versteht er leider nicht. Deshalb wird es Zeit, daß der gute Mensch von Deutschland mal aus dem Nähkästchen plaudert – und ich bin einer der bästen.

Auf „Deutschland den Deutschen!“ fällt mir doch nichts Besseres ein als „Nie wieder Deutschland!“ Mit solchen „einschnappenden Reflexen“ habe ich nach Morshäuser allerdings ein verständnissuchendes Diskussionsangebot einfach abgeblockt. Pfui! Damit gehöre ich zu den „negativen Nationalisten“, zu denen, die noch in der affektiven Abwehr mit dem Fetisch „Nation“ verklammert bleiben. Außerdem – noch mal pfui! – bin ich ein „positiver Rassist“, jemand, der zarte Kommunikationen rüde verweigert und mit den Skins quasi Minderheiten ausgrenzt.

Deswegen und außerdem bin ich einer, der „Deutschland einmal hat hassen müssen“. Das konnten meine Eltern nämlich nicht. Aber, aber: wie man bei Adolf Eichmann hat sehen können, ist der Weg vom Judenpfleger zum Judenvernichter, jedenfalls laut Morshäuser, ganz kurz. So auch der Weg von der Fremdenliebe zum Fremdenhaß. „Beide Haltungen schreiben dem Fremden vor, ein Besonderer zu sein.“

Die Dialektik fährt Schlitten mit Herrn Morshäuser, aber wie er bei dem Fahrtwind auch noch Kurzschlüsse hinkriegt, verdient Bewunderung. Ich insistiere dennoch: Vom durchschnittlichen „Guhtmenschen“ bis Adolf Eichmann ist es ein weiter Weg. Und er wäre fast genauso weit, wenn ich ein „positiver Rassist“ und „negativer Nationalist wäre“.

Bin ich aber nicht. Ich gestehe, ich hatte in meiner fernen Jugend Neigung dazu. Es wurde nicht viel daraus, bei einer ganzen Generation nicht – no future für antinationalistische Nationsverdränger. Heute dämmert mir allerdings, was es mit dem Glück dieser antideutschen Bekenntnisse auf sich hatte. Natürlich waren sie zunächst ein unschlagbarer Joker im Generationenkonflikt; dann auch eine prachtvolle Chiffre, in die alles positive Leid und alle politischen Hoffnungen einfließen konnten – und die einen zu fast gar nichts verpflichtete. Und dann waren sie ein wundervolles Mißverständnis. Der Preis, den die Westdeutschen für die Millionen Toten und die aberwitzigen Verheerungen bezahlten, bestand zuletzt aus einem symbolischen Opfer: den offiziellen Diskurs von nationalistischen Empfindungen auszunehmen. Am Stammtisch durften viele ihr Herz ausschütten, die Altnazis konnten schwärmen, die NPD gab es und die Nationalzeitung, aber im offiziellen Staatsverständnis blieb der Nationalismus ein Tabu. Und jetzt kommt das Mißverständnis: wir Spätgeborenen haben das nicht bloß als Strafe murrend auf uns genommen, wir wollten daraus so etwas wie eine „deutsche Identität“ machen. Statt uns allerdings darauf zu beschränken, den Antinationalismus als eine angemessenere und modernere Form von Gesellschaftsverständnis darzustellen, haben wir Alliierte gespielt und an dem auferlegten Tabu weitergestrickt. Das war nicht fies, aber doch naiv.

Fies finde ich hingegen, wenn gebildete und in diesem Falle wirklich dumme Leute wie Walser oder Morshäuser heute hingehen und so tun, als hätte man früher schon mal ein bißchen mehr den Nationalismus pflegen können – oder auch nur dürfen. Als wenn sie nicht auch wüßten, daß, wenn sich die Deutschen auch noch das bißchen Strafe erlassen hätten, sie weitaus kostspieliger zur Kasse gebeten worden wären. Und als wenn das Nationaltabu nicht äußerst hohe Integrationskraft gehabt hätte – zwischen den Generationen und zwischen Tätern und Opfern. Und: Als wenn ein bißchen mehr Nationalgetöse uns die Skins vom Hals gehalten hätte!

Und dann Morshäusers Sprache: „Protestierende“ Jugendliche (so nennt er Skins; ich nenne das Beihilfe) äußern ihren „Protest“. Nur die fett gewordenen 68er wollen partout nicht erkennen, daß ihre Kinder Regeln genauso verletzten wie sie selbst vor 25 Jahren, wenn sie sagen „Deutschland den Deutschen“. Dagegen haben die guhten Menschen von Deutschland, ich inklusive, nichts zu bieten als „Deutschlandhaß“ und „Ausländerliebe“ (Russenliebchen?). So sieht Morshäusers Szenario der „Nachkriegsinvaliden“ aus.

Wo lebt der Mann? Zwischen handzahmen Skins und völlig durchgeknallten Autonomen? Treffen will er allein die guhten Menschen von Deutschland. Und kein noch so absurdes und abseitiges Beispiel ist ihm zu schade, um zu demonstrieren, wie doof die guhten Gebildeten sind. Eingehen auf die Diskussionsangebote, „zivil lebbare“ Positionen suchen und nicht bloß „Deutschlandhaß“ pflegen, das sind seine Vorschläge. Leider erläutert er seine bahnbrechenden Erleuchtungen nicht weiter.

Da die Skins aus Sehnsucht nach Gehorsam rebellieren, soll man sie meinethalben freundlich bedienen. Weit mehr als sie beschäftigen mich die dumpf-diffusen Kreise der Bevölkerung, die sich da, wenn auch auf etwas schmuddelige Weise, ganz gut ausgedrückt finden. Und mich entsetzen erwachsene und gebildete Leute, die hinter diesem „Protest“ „zivil lebbare“ Positionen ausmachen wollen. „Deutschland den Deutschen!“ ist weder ein warmes Gefühl noch ein Gesprächsangebot, sondern nichts anderes als die Auftaktformel einer gewaltigen Erlösungsmetaphysik, die nicht viel „drumrum redet“. „Deutschland den Deutschen!“ ist kein Satz, der zur Diskussion über Modernisierungsschäden provozieren will, das ist eine Praxis, die die Wunden unmittelbar heilt – mit dem Blut der „anderen“. So lange man das noch so vielen Menschen in diesem Land klar machen muß, so lange müssen wir uns noch zähneknirschend als Nachkriegsinvaliden betrachten. Ich gebe allerdings zu, ich würde gerne langsam mal ein bißchen weiterkommen.

Natürlich ahne selbst ich bornierter Guhtmensch, wieviel Verletzung hinter dem Gehetze der garstigen Kinder steckt. Man kann – und muß vielleicht sogar – den gesamten Nationalsozialismus als einen Schmerzensschrei auffassen, der sich als Mordphantasie tarnt. Ich kann mich sogar in diesen Schmerzen wiederfinden. Das ändert nichts daran, daß die rechten Heilungsphantasien mörderisch sind und allemal untragbarer als die Schmerzen.

Aber wahrscheinlich interessiert sich auch der böse Bodo gar nicht so sehr für Skins. Er hält sich lieber schadlos am hilflos Gutgemeinten. Er will die Linken treffen. Dabei verkörpert Bodo Morshäuser idealtypisch eine Reihe von deren schlechtesten Angewohnheiten. Da ist der Chamäleon-Reflex, die Neigung, in gefährdeten Zeiten erst einmal einem furios zelebrierten Selbsthaß zu verfallen, der radebrechende Leerlauf der Analyse, die unweigerlich zu dem Ergebnis kommt, daß wir nicht mehr wissen, wo oben und unten, links und rechts ist. Und dann eben diese wohlfeile Attitüde: sich von den „Guhten“ lossagen, um im Wettstreit der Interessantheiten einen letzten süffisanten Joker aus dem Hemdsärmel zu zaubern...

Bei allem Gerase: es bleibt doch nur ein Offenbarungseid. Bodo Morshäuser ist bloß ein Symptom der Krise, die er diagnostizieren wollte. Der bäste Mensch von Deutschland schließt diese verlorene Seele in sein Gebet ein.

Bodo Morshäuser: „Warten auf den Führer“, Edition Suhrkamp, 143 Seiten, 14,80 DM