Ein Masterplan für Europas Vernetzung

Bis zum Jahr 2005 will die Europäische Union 400 Milliarden Mark in Europas Zusammenwachsen auf dem Verkehrsweg investieren / Private Investoren gesucht  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Ganz oben auf der Liste steht der deutsch-österreichisch-italienische Eisenbahntunnel durch die Alpen, und irgendwo mittendrin liegt die Fehmarnbelt-Brücke von Deutschland nach Dänemark. Das sind nur zwei von 26 vorrangigen Verkehrsprojekten, die die Europäische Kommission in ihrem jüngsten Weißbuch vom Dezember 93 auflistet, die in den kommenden fünf Jahren mit insgesamt rund 160 Milliarden Mark vorangetrieben werden sollen: Tunnel, Brücken, Fernstraßen, Hochgeschwindigkeitszüge, neue Häfen und größere Flughäfen, damit das mobile Europa auf dem Verkehrsweg zusammenwächst. Und das ist nur der Anfang: Bis zum Jahr 2005 sind nach den Vorstellungen der Kommission über 400 Milliarden Mark für den Ausbau der Transportwege nötig, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu sichern.

„Transeuropäische Netze“ heißt die Zauberformel der EU. Damit will die Kommission sowohl das Zusammenwachsen Europas fördern wie auch die Wirtschaft ankurbeln und die Arbeitslosigkeit senken. Neben den Transportwegen mit rund 60 Prozent der veranschlagten Kosten umfassen die geplanten transeuropäischen Netze auch grenzüberschreitende Telekommunikationsverbindungen sowie Strom- und Gasleitungen.

Die zwölf Regierungschefs der Europäischen Union haben das Programm allgemein begrüßt und einträchtig die Notwendigkeit eines solchen großangelegten Beschäftigungsprogramms unterstrichen. Erst als es um das Geld ging, gerieten sie sich in die Haare. Vor allem der deutsche und der britische Finanzminister konnten sich auf gar keinen Fall vorstellen, daß nun auch noch Brüssel Schulden machen will. Doch ohne Kredite ist das Ganze nicht zu bezahlen.

Aus dem Gemeinschaftstopf kann die Europäische Union lediglich ein paar Millionen ECU für Studien und Planungen zur Verfügung stellen. In den ärmeren Ländern Irland, Griechenland, Portugal und Spanien werden einige Projekte aus den Struktur- und Kohäsionsfonds der Europäischen Union bezuschußt. Den größten Teil der geplanten Kosten werden die Mitgliedsländer tragen, was sie allerdings nicht weiter treffen wird, weil es sich im wesentlichen um Projekte handelt, die von den nationalen Regierungen ohnehin geplant waren. Das transeuropäische Verkehrsnetz sei „über weite Strecken eine Collage der nationalen Verkehrswegepläne“, spötteln denn auch Europaabgeordnete, die sich über den Rummel um den „Masterplan“, wie die Kommission ihren Entwurf gerne nennt, wundern.

Das Europäische Parlament hat am 18. Januar bemängelt, daß das Konzept der Europäischen Kommission die Chance einer wirklichen Vernetzung der Verkehrswege ungenutzt lasse. Anstatt zu prüfen, wie sich Straße, Bahn, Schiffs- und Flugverkehr sinnvoll und zum Nutzen der Umwelt ergänzen könnten, unterstütze Brüssel den parallelen Ausbau aller Verkehrssysteme. Paul Beeckmans vom Verkehrsbüro der Grünen im Europaparlament nennt als Beispiel für eine sinnvollere Vernetzung einen besseren Anschluß der Ostseehäfen an das europäische Eisenbahnnetz anstelle der geplanten Ostseeautobahn.

Doch vieles von dem, was die Kommission über die bereits in den Mitgliedsstaaten beschlossenen Verkehrswege hinaus vorschlägt, wie beispielsweise eine Kanalverbindung zwischen Rhône und Rhein, wird vermutlich über das Stadium der Durchführbarkeitsstudien nie hinauskommen, denn sämtliche Regierungen sind finanziell ziemlich klamm. Die Kommission baut deshalb auf private Investoren, denen sie den Bau der transeuropäischen Netze mit günstigen Krediten der Europäischen Investitionsbank und Zinszuschüssen aus Brüssel schmackhaft machen will. Doch private Investoren scheuen das Risiko und wollen eine angemessene Rendite sehen. Wenn sich aber die Regierungen verpflichten, die privat erstellte Infrastruktur später zu kaufen oder zu mieten, dann ist das Ganze nichts anderes als eine versteckte und ziemlich teure Form der Kreditaufnahme. Verantwortungsvolle Finanzminister winken da schnell ab.

Die andere Möglichkeit ist, daß die Geldgeber von den Benutzern Gebühren erheben, so wie beim Kanaltunnel zwischen Frankreich und England. Die jüngst veröffentlichte Preisliste der Tunnelgesellschaft „Eurotunnel“ hat in Brüssel für einige Ernüchterung gesorgt. Eine Fahrt nach London wird demnach durch den Tunnel nicht billiger und auch nicht unbedingt schneller. Mit Spannung wird nun beobachtet, ob sich das symbolträchtige Bauwerk für die privaten Geldgeber rentiert. Das wird großen Einfluß auf die Risikobereitschaft der Investoren für die noch geplanten Verkehrsprojekte haben. Bis jetzt stehen sie noch nicht Schlange.