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Das Kreuz mit den Roten

■ Jens Motschmann rechnet in „Die Pharisäer“ mit linken Protestanten ab

Jens Motschmann, die Posaune von St. Martini, hat wieder zugestoßen. Diesmal wirft der streitbare Prediger den ersten Stein gegen seine evangelischen Brüder und Schwestern im Herrn. Warnte der konservative Theologe 1991 noch mit dem erhobenen Zeigefinger „So nicht, Herr Pfarrer!“ so bricht er nun den Stab über die „linke Kirche“. In den Gotteshäusern predigen HeuchlerInnen einen Irrweg der Kirche: Das ist Motschmanns Fazit in seinem neuen Buch „Die Pharisäer – Die evangelische Kirche, der Sozialismus und das SED-Regime“.

Wer sich von dem Werk eine Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit und Einblick in die Verstrickung von evangelischer Kirche mit SED und Stasi erhofft, der wird enttäuscht. Nur in knapp einem Drittel des Buches befaßt sich Motschmann überhaupt mit der Kirche in der DDR.

Viel wichtiger ist es ihm, mit den „Kanzelkommunisten“ im Westen abzurechnen und auf die „marxistische Unterwanderung der Kirche“ mit nachfolgender Verwässerung der reinen Kirchenlehre zu verweisen.

So sieht das Sündenregister aus, das Motschmann seinen westlichen Glaubensbrüdern und -schwestern vorlegt: Trennung der evangelischen Kirchen in Ost und West, Verharmlosung des Stalinismus, „knallrote“ Studentengemeinden, Verständnis für die RAF, moskaugelenkte Unterwanderung der Friedensbewegung, Ablehnung der Wiedervereinigung und vor allem das Festhalten an kirchlichen Träumen einer Synthese von Marxismus und Christentum. „Die Kirche hat sich linken Ideologien weit geöffnet und muß jetzt die Vollmacht zurückgewinnen, ohne Heuchelei zu mahnen und das Wort Gottes zu predigen“, schreibt Motschmann.

Das evangelische Konzept der „Kirche im Sozialismus“, mit dem viele DDR-ProtestantInnen sich im real existierenden System einrichteten, ist für Motschmann eine „gewollte Zweideutigkeit“. Denn die Kirchenleitung habe nicht eindeutig Stellung bezogen gegen Atheismus, Wehrerziehung und Schießbefehl, sondern sich an die SED angebiedert und sogar mit der Stasi verhandelt.

Zum „Fall Stolpe“ läßt Motschmann ostdeutsche Theologen zu Wort kommen, die eine Zusammenarbeit mit der Stasi verurteilen. Konsequent fordert Motschmann aus dem warmen und sicheren Bremen dann auch, daß die Kirche in der DDR sich als Opposition gegen ein menschen- und gottesfeindliches System hätte begreifen müssen: „Was die Kirche braucht, sind nicht so sehr wendige Kirchendiplomaten und kirchenpolitische Taktierer, sondern Wahrheitszeugen.“

Christentum als Opposition gegen menschenfeindliche Strukturen – Unerhörtes vom Bremer Theologen Jens Motschmann? Aber bitte nur im Marxismus. Denn bei uns herrscht laut Motschmann die „soziale Marktwirtschaft“. Und wer an deren katastrophale soziale und ökologische Folgen für drei Viertel der Welt erinnert, ist für den Gottesmann immer noch ein Heuchler, dessen Meinung an „Aussagen von Gefangenen erinnert, die in sozialistischen Umerziehungslagern einer Gehirnwäsche unterzogen wurden.“

Bernhard Pötter

„Die Pharisäer“, Ullstein, 318 S., Paperback, 24.90 Mark

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