„Nur nicht drüber reden“

■ Kaum Hilfe für Kinder von drogenabhängigen Erwachsenen

Auch drogenabhängige Menschen haben Kinder. Kinder, die manchmal schon geschädigt zur Welt kommen, weil die Mütter die Schwangerschaft zu spät bemerken, und die in den ersten Lebensmonaten mit Entzugsproblemen, im besten Fall von Methadon, zu kämpfen haben.

Kinder die zu früh in übergroße Verantwortungen gedrängt werden, weil sie die Hoffnung auf eine Wende im Leben ihrer Mütter waren. Verschwiegene, treue Helfer in der Sucht, die die stündlich wechselnden Stimmungen im Zuhause aushalten müssen, die im Notfall die Drogen selbst besorgen und die Telephonenummer des Notarztes kennen. Die Väter sind meistens verschwunden oder im Gefängnis, dafür tauchen wechselnde Partner der Mutter auf, die oft genug selbst süchtig sind und weitere Drogenfreunde mitbringen.

Offizielle Statistiken über diese Kinder existieren nicht, aber die Psychologin Doris Kahlert schätzt, daß es in Bremen um die 500-1.000 Kinder gibt, die mit abhängigen Frauen zusammenleben. Kahlert hatte in der letzten Woch zu einer Informationsveranstaltung im Gröpelinger Stadtteilbüro der „Bremer HIlfe zur Selbsthilfe e.V.“ eingeladen, wo sie in einem Beratungsprojekt für drogenabhängige Mütter arbeitet. Fünf Frauen und ein Mann kamen, „wie man sieht“, sagte Kahlert, „ein Frauenproblem, für das es noch viel zu wenig Aufmerksamkeit gibt.

Die betroffenen Kinder verhalten sich typischerweise in der Öffentlichkeit unauffällig und angepaßt. Aufmerksame PädagogInnen müssen sich ihnen über Umwege nähern, damit sie wagen, über ihre häusliche Situation zu sprechen. „Nur nicht darüber reden, sonst wird alles schlimmer“, das ist, so Kahlert, die Devise des häuslichen Teufelskreises.

Die Psychologin kann nur konstatieren, daß es keine speziellen Hilfsangebote für Kinder gibt, die mit dem Drogenproblem ihrer Eltern leben müssen. Sie selbst findet den Kontakt über Gröpelinger Mütter, die zur Beratung kommen, bietet Gespräche an und versucht die Kinder in bestehende Jugendgruppen zu integrieren. Ihr Ansatz besteht in einer nicht „defizitorientierten“ Vorgehensweise, das heißt, sie will die Kinder auf ihre Stärken aufmerksam machen, Stärken, die sie sich in ihrem chaotischen Alltag erworben haben, wie zum Beispiel die Fähigkeit, unausgesprochene Stimmungsschwankungen schnell zu erkennen und entsprechend zu reagieren, die Lücken in den Systemen Familie und Schule aufzuspühren und eine Selbstständigkeit zu entwickeln, die die unbehüteten Kinder „streetwise“ macht.

Diese etwas bemüht positive Sicht auf einigermaßen trostlose Verhältnisse muß wohl sein, damit die professionellen HelferInnen nicht von Anfang an das Handtuch schmeißen. „Ich bin gegen diesen Ansatz, daß jemand erst zugeben muß, ganz im Dreck zu liegen, um Hilfe zu bekommen“, erklärt Kahlert.

Im Gegensatz zu den Hilfsorganisationen der Alkoholiker, die über Bremen verteilt mehrere Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche aus Suchtfamilien haben, muß die Diskussion über die Situation von Kindern drogensüchtiger Eltern zu allererst angefeuert werden. Das Stadtteilbüro Gröpelingen ist eine erste Adresse. Über die mögliche Einrichtung eines „Kinderhauses“ als Fluchtort, wenn zuhause mal wieder alles zusammengebrochen ist, wagt bislang kaum jemand, laut nachzudenken.

Cornelia Kurth

Kontakt: Stadtteilbüro Gröpelingen, Morgenlandstraße 26