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Der Donau bleibt das Wasser weg

Der slowakisch-ungarische Donaustaudamm Gabčikovo trocknet in Ungarn die Auenwälder aus / Auch wirtschaftliche Einbußen  ■ Von Keno Verseck und Sabine Herre

Budapest/Bratislava (taz) – Merkwürdige Bilder hingen vor einiger Zeit in der Budapester Metrostation „Kossuth-Platz“. Bilder mit braunem und blauem Wasser, mit badenden und trinkenden Menschen. Auf einigen war zu erkennen, daß es sich um einen Fluß handelte – der Text dazu poetisch und unklar. Er erwähnte den Namen – Donau, die Donauauen und die kleine Schüttinsel nordwestlich von Budapest.

Die Bilder sind verschwunden – so wie auch das Problem des Wasserkraftwerkes Gabčikovo, auf das sie anspielten, aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwunden ist. Denn nachdem vor mehr als einem Jahr, Anfang November 1992, die Donau unterhalb der slowakischen Hauptstadt Bratislava gestaut und das mehr als ein Jahrzehnt umstrittene Wasserkraftwerk in Betrieb genommen worden war, hatten auch die Umweltgruppen ihre Protestaktionen eingestellt.

Dabei gäbe es für weitere Blockaden und Demonstrationen genug Gründe. Die Slowakei, die Ungarn buchstäblich das Wasser abgegraben hat, will es seitdem nicht wieder hergeben. Lediglich 200 bis 500 Kubikmeter pro Sekunde, zwischen 10 und 15 Prozent der ursprünglichen Wassermenge, fließen heute noch durch den sogenannten „alten Korridor“. Auf der ungarischen Seite der Donau sind die Folgen des Wasserdiebstahls nicht mehr zu übersehen: Der Grundwasserspiegel ist um rund sechs Meter gesunken, allein im ersten Jahr des Betriebs von Gabčikovo sind fünf Prozent der ungarischen Donauauwälder abgestorben. Prognostiziert wird, daß ohne eine Verbesserung des Wasserregimes in spätestens fünf Jahren 90 Prozent der Wälder vom Absterben bedroht sein werden.

Betroffen ist aber auch die ungarische Wirtschaft: Die Donaufischer verloren ein Fünftel ihres Fanggebiets, nach dem plötzlichen Absinken des Donaupegels um zwei Meter mußten die Fischer allein in den ersten drei Wochen hundert Tonnen tote Fische einsammeln. Die Landwirtschaft rechnet für 1994 mit einen Ertragsrückgang von 20 bis 30 Prozent. Einen Einbruch erwartet auch der sich gerade erst entwickelnde Tourismus im Donauknie, bereits 1993 mußten wegen der zunehmenden Verunreinigung des Wassers – durch die langsamere Fließgeschwindigleit lagern sich giftige Stoffe ab – erste Badeverbote ausgesprochen werden.

Die Folgen der slowakischen Energieproduktion bekommen so in erster Linie die Ungarn zu spüren. Im slowakischen Teil der Schüttinsel haben die Bauherrn des Kraftwerks dagegen versucht, mit sogenannten technischen Lösungen – einem System verschiedener Wasserspeicher – ein Absinken des Grundwassers zu verhindern. Dies kann die Umweltschützer jedoch kaum zufriedenstellen. Ihrer Ansicht nach verändert sich das Wasserregime dort nur langsamer, die Folgen werden erst in einigen Jahren zu sehen sein. Aus dem gleichen Grund lehnte Ungarn das slowakische Angebot, auch solche Speicher zu bauen, ab.

Zu keiner Einigung haben bisher auch die Vermittlungsversuche der Europäischen Union geführt. Ihr Kompromißvorschlag – er sieht vor, daß im alten Korridor 66 Prozent des Donauwassers fließen sollen – wird von der slowakischen Regierung nicht akzeptiert.

Bratislava nützt das Ausbleiben sichtbarer Veränderungen in den slowakischen Donauwäldern, den Umweltgruppen „Propaganda“ vorzuwerfen. Sie hätten die Öffentlichkeit mit falschen Informationen über die ökologischen Folgen des Wasserkraftwerks beunruhigt. Gleichzeitig weigert sie sich aber, die Ergebnisse des Umweltmonitoring, das auf Druck der Gabčikovo-Gegner durchgeführt wird, zu veröffentlichen. Nur über Beziehungen gelang es diesen, internes Material des slowakischen Umweltministeriums zu erhalten, in dem festgestellt wird, daß die vom Ministerium selbst aufgestellten ökologischen Anforderungen an das Projekt in weiten Teilen nicht erfüllt wurden.

Nur durch Zufall erfuhren die Umweltschützer auch, daß infolge der Veränderung des Wasserregimes bereits zwei Trinkwasserquellen der Schüttinsel vergiftet sind und man die Wasserförderung daher einstellte beziehungsweise herabsetzte. Während das Grundwasser in den Donauauen bisher ohne größere Aufbereitung als Trinkwasser verwendet werden konnte, scheinen nun Investitionen zur Verbesserung der Wasserqualität unumgänglich. Und natürlich führt die Einstellung der Wasserförderung zu wilden Spekulationen der ungarischen Bevölkerung der Südslowakei. Da die slowakische Regierung sonst stets im letzten Moment reagiert und die Ungarn von ihr so sowenig Gutes erwarten, nimmt man nun an, daß sich die Trinkwasserqualität bereits entscheidend verschlechtert hat. Doch trotz der immer deutlicher werdenden Folgen des Kraftwerks auch in der Slowakei gibt es auch hier keine Anti-Gabčikovo- Bewegung mehr. Nach zwei Jahren unzähliger Demonstrationen habe, so meint eine Vertreterin des Umwelt- und Naturschutzverbandes, die Bevölkerung der Schüttinsel resigniert. Viele hätten sich inzwischen jedoch auch von der staatlichen Kampagne für das Kraftwerk überzeugen lassen. Daher beschränken sich die Umweltschützer auf die Durchführung von Seminaren, bei der sie vor und mit ausländischen Experten auch die wirtschaftlichen Folgen Gabčikovos erörtern. Daß die Kosten für Bau und Betrieb des Kraftwerkes im letzten Jahr das staatliche Haushaltsdefizit von neun auf 14 Milliarden Kronen wachsen ließen, wird jedoch nicht einmal von der Opposition in Bratislava thematisiert.

Die schwere Krise in den Beziehungen zwischen Ungarn und der Slowakei, die Gabčikovo ausgelöst hat, dauert mit weniger Schlagzeilen an. Der Kampf um das Wasser geht in Kommissionen, vor Schlichtungsausschüssen und vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag weiter. Zu einem neuen Streit ist es gekommen, als die ungarische Regierung im Mai 1993 einen Plan zur Rehabilitierung des Donauknies verabschiedete. Die Arbeiten, die Anfang Dezember begonnen haben, sehen unter anderem vor, im nächsten Jahr, den einst geplanten ungarischen Teil des Staustufensystems bei Nagymaros vollständig abzureißen. Dagegen hat die Slowakei protestiert, denn ihrer Ansicht nach ist dieser gemeinsames Eigentum Ungarns und der Slowakei. Doch nicht nur das. Als Reaktion auf den ungarischen Schritt hat die Slowakei außerdem beschlossen, das nach Gabčikovo zweite Wasserkraftwerk am Staudamm bei Čunovo endgültig fertigzubauen. Die Europäische Union zeigte in den letzten Monaten sichtlich wenig Interesse an der Ökologie und um so mehr an einer Beilegung des Konfliktes, auf welche Art auch immer. Doch mit einem Urteil des Gerichtshofs in Den Haag wird erst in sieben Jahren gerechnet, und auch dann wird eine klare Entscheidung gegen das Kraftwerk wohl kaum gefallen sein. Die Baugeschichte des einstmals gemeinsamen Staustufenprojekts ist zu lang, die Zahl der gegenseitigen Beschuldigungen zu hoch. Selbst die Aktivisten unter den Kraftwerksgegnern sind der Ansicht, daß Gabčikovo nicht mehr zu stoppen ist: „Nur wenn die Donau einen Teil ihres Wassers zurückerhält, werden die Auenwälder nicht ganz absterben.“

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