Der Brilli für's Genital

■ „Wider das ständige Eintopf-Essen“: Piercing in Bremen-Nord

Die Ringe in der Schmuckschatulle sehen aus wie ein Ohrringe. Sie sind aus hochkarätigem 585er Gold, pur oder mit einer Perle, Lapislazuli oder anderem Edelstein verziert. Doch getragen werden sie im Genitalbereich, am Bauchnabel, an den Brustwarzen oder an der Augenbraue.

„Piercing“ (engl.: durchbohren) ist nicht an allen Körperteile geeignet: Models und MusikerInnen haben von sich Reden gemacht, weil sie Schmuck durch die Zunge tragen. Da sind Entzündungen vorprogrammiert, die Geschmacksnerven können zerstört werden, und „das Klickern des Schmucks gegen den Gaumen macht die Menschen verrückt“, glaubt Gerard Bot, Piercer und Tattookünstler in Bremen-Nord.

Einen Ring durch die Lippe empfiehlt er auch nicht: dort verlaufen viele Nerven, die zerstört werden könnten. Ein Nasenring kann im ungünstigsten Fall eine Gesichtslähmung auslösen, da an der Nase mehrere Nervenstränge entlanglaufen. Den Ring durch die Augenbraue kann der Profi-Piercer verantworten. Doch wer's mal leid ist: das Loch bleibt.

Im Genitalbereich ist mit einer Ausnahme alles möglich: Gerard Bot macht keinen Ring durch die Eichel. Es gibt Piercer, die einen Ring von vorne durch die Harnröhre treiben und ihn seitlich unterhalb der Eichel herauskommen lassen. Doch die Gefahr der Entzündung ist groß, und die Eichel könnte sich unter Umständen spalten.

Ungefährlich hingegen sind beim Mann Ringe oder Stäbchen in der Haut am Penis. „Man kann damit am Damm anfangen, und am gesamten Penis entlang Ringe tragen“, sagt Bot. Bei Frauen werden die Ringe an den inneren Schamlippen angebracht.

Das Piercen ist gesellschaftsfähiger geworden, sagt Gerard Bot. Das liege an Aids und den geänderten sexuellen Gewohnheiten der Menschen. „Man bleibt sich heute treu. Menschen, die Wert auf Erotik legen, sind durch das ständige „Eintopf Essen“ ermüdet und suchen wieder einen gewissen Reiz.“

Gepierct wird mit Betäubung. „Die meisten haben Angst, daß es weh tut. Es hat nichts mit Masochismus oder Sadismus zu tun“, sagt Bot. Das erste Piercing verlegt er ins Jahr 6.000 vor Christus nach China. Dort habe der Adel „die sexuellen Vorteile“ genutzt. „Die Schmuckstücke massieren auf eine natürliche Art.“ Ein Ring, am Penis-Ansatz befestigt, stimuliere die Klitoris. Die innere Stimulation des sogenannten G-Punktes der Frau werde erreicht, wenn zwei Goldknöpfe unterhalb der Eichel angebracht sind. Auch bei der Brust würden sexuelle Reize verstärkt.

Für alle Piercing-Stellen gibt es asiatische Namen. Tattoo-Gerard, wie er sich nennt, benutzt sie nicht. Man verständigt sich anhand eines Fotoarchivs, in dem an die 30 Piercing-Varianten abgebildet sind.

Die Kundschaft komme aus allen Gesellschaftsschichten: PolitikerInnen, ÄrztInnen, Geschäftsleute, LehrerInnen und „sehr viele Hausfrauen“.

Etwa 80 Prozent der KundInnen im Tattoo-Studio sind Frauen, die mitunter aus ganz Deutschland anreisen. „In Süddeutschland ist die Hälfte der Leute gepierct, aber im Norden sind es noch sehr wenige“, behauptet Bot. Er legt Wert auf KundInnen mit „Niveau“. Sie sollen sich benehmen können, findet auch seine Frau, Rosemarie Bot, „Rüpel“ würden schon am Telefon abgewiesen. Nicht zuletzt weil das Tattoo-Studio direkt im Haus liegt. Vor den Reihenhäusern in Bremen- Burglesum weist nichts darauf hin, daß hier ab achtzig Mark Schmuck durch die Haut gebohrt wird. Preislich sind nach oben keine Grenzen gesetzt, da gibt es verschnörkelte Ketten und Stäbchen, und Ringe an denen die Brillis funkeln.

Der Schmuck ist herausnehmbar, doch gerade die Löcher durch die Brustwarzen verengen sich recht schnell. Dagegen hat Gerard Bot einen Tip: Ein Stückchen Anglerschnur ins Loch tun.

Vivianne Agena