Sanssouci
: Vorschlag

■ Myra Melford und Han Bennink im Kulturhaus Peter Edel

Myra Melford Foto: Ann Fuller

Was kann passieren, wenn man in lichtdurchfluteten Räumen aufwächst, James Joyce liest und einem der Blick in den Handspiegel suggeriert, man gehe gerade die Zimmerdecke entlang? Daß man sich irgendwann einmal zur New York Times-Klientel zählt. Und daß man eines Tages die Meldung beachtet, der Leichnam von Frank Lloyd Wright sei auf Anweisung seiner zweiten Ehefrau in Wisconsin ausgebuddelt worden, um nach Arizona zu reisen und sich dort bereitzulegen für ein gemeinsames Nachleben. So kommen Titel zustande. „Frank Lloyd Wright Goes West To Rest“ nennt die Pianistin Myra Melford ihre Hommage an ihre Wright-Haus-Kindheit in Glencoe, Illinois.

Musikerbiographien sind auch immer Imagekonstruktionen. Und beim improvisierenden Berufsstand ist Haltung sehr gefragt. Das Chicagoer Musikerkollektiv AACM (Association For The Advancement Of Creative Musicians) und die New Yorker Avantgarde-Klitsche Knitting Factory sind längst zu Symbolen für selbstinszenierte Schrägheit und geräuschvolles Künstlertum geronnen. Bei den AACM-Protagonisten Henry Threadgill und Joseph Jarman studierte Myra Melford Komposition und Aikido. Das schärft den Blick für improvisatorische Stimmigkeit und gibt Kraft. Für Faustakkorde, Ellbogencluster und bluesbetonte Melodieschleifen.

Im Knitting-Factory-Verbund tourte sie dann durch Europa und spielte hier auch ihre aktuelle Trio-CD „Alive In The House Of Saints“ (hatART) ein. Und damit gelang ihr so ziemlich das Funkigste, was zur Zeit auf dem Off-Jazzmarkt zu haben ist: Free Jazz der Neunziger als säkularisierter Gospelfunk zwischen Great Black Music und Kammerklang. Mit dem holländischen Schlagwerker Han Bennink hat Myra Melford einen Tourbegleiter, der zu den ganz raren Ausnahmeerscheinungen der europäischen Jazzszene zählt. Er ist der Free-„Cabaret“-Jazzer erster Stunde, der mal mit tausend Streichhölzern spielte, mit Stühlen, Kindergrammophonen und Sägen taktierte, Saxophon und Posaune als Rhythmusinstrumente parodierte und selbst dann immer noch zwischen irgendwelchen Stühlen saß, wenn vor ihm lediglich ein Umzugskarton auf seine Schläge wartete. Christian Broecking

Heute, 21 Uhr, Kulturhaus „Peter Edel“, Berliner Allee 125, Weißensee.