■ Frohe Kunde für Steinzeitfreunde
: Endlich: Die Neandertalerin ist da!

Düsseldorf (taz) – Endlich hat der Neandertaler seine Neandertalerin. Täuschend echt, aber wer will das schon beurteilen, steht sie seit einer Woche im Neandertal-Museum bei Düsseldorf, wo bislang unser Vorfahr aus der mittleren Steinzeit dem Publikum stets bloß in seiner männlichen Spielart nahegebracht wurde, so als habe es sich bei ihm um einen notorischen Junggesellen gehandelt.

Das paläolithische Weibsbild ist von untersetzter, gedrungener Gestalt, ihre flache Stirn mit den starken Wülsten, die breite Nase und die kräftige Beißpartie verleihen der zottelhaarigen Frau einen etwas herben Charme. Der Dermoplastiker, dessen Werkstatt sie entsprungen ist, regt die Phantasie noch durch einige zusätzliche liebevolle Details an: So hat er der Barbusigen im Fellschurz eine böse Narbe am Bein verpaßt, für Krampfadern gesorgt und selbst das Schwarze unter den Nägeln nicht vergessen. Ein Bündel Holz auf dem Arm, strebt die Urmutter ihrem Wigwam zu – der Homo sapiens neanderthalensis (zirka 200.000 – 40.000 v. Chr.) führte nämlich teilweise ein Nomadenleben. Etwa Mitte 20 soll sie sein, sieht allerdings für unsere verwöhnten Maßstäbe reichlich älter aus – ihre Lebenserwartung betrug nur 35 Jahre. Mit besagtem Holz will frau wohl ein Feuerchen machen – das Know-how gab es höchstwahrscheinlich schon, womöglich von ihr selbst entwickelt – derweil der Gatte noch mit der Holzlanze gegen Mammut oder Wollnashorn unterwegs ist. Wahrscheinlich hat sie heute in der kargen Steppe auch schon Beeren, Blüten und Nüsse gesammelt. Das kleine Neandertal- Museum in Erkrath klärt uns leider nicht näher über die damalige Arbeitsteilung der Geschlechter auf.

Zur Rekonstruktion konnten sich die Experten auf ein komplettes weibliches Skelett stützen, das vor Jahrzehnten im französischen La Ferrassie entdeckt wurde. Dagegen war es bei dem Furore machenden Fund anno 1856 im Neandertal selbst zu peinlichen Pannen gekommen. Der größte Teil des Skeletts, das in einer Grotte geschlummert hatte, war nämlich bei Steinbrucharbeiten bereits unwiederbringlich verschüttgegangen, ehe ein alarmierter Gymnasiallehrer konstatieren konnte, daß es sich hier mitnichten um einen Höhlenbären handelte, sondern – Adam hin, Eva her – offenbar um eine bisher unbekannte Frühform des Homo sapiens. Das Fundstück, so schrieb damals ein Bürgerblatt feinsinnig, gehöre „zu dem Geschlechte der Flachköpfe, deren noch heute im amerikanischen Westen wohnen“. Die Zeitung warf auch die völkerverbindende Frage auf, ob das Gerippe vielleicht „blos einer (mit Attila?) streifenden Horde angehört“ habe.

Mit ihren rund 1 1/2 Litern Schädelvolumen standen die Flachköpfe uns heutigen Eierköpfen nicht nach. Überhaupt waren sie keineswegs so primitiv, wie eitle Zungen behaupten. Der Papst zum Beispiel hätte seine helle Freude an ihnen gehabt, glaubten sie doch, wie Grabbeilagen beweisen, bereits an ein Weiterleben nach dem Tode. Bezüglich des Aussehens des Neandertalers meinten zwei amerikanische Forscher: „Könnte er wiederauferstehen, er würde – vorausgesetzt er wäre gebadet, rasiert und modern gekleidet – kaum mehr Aufsehen erregen als manch anderer Mitbürger.“

Die Museumsleute vom Neandertal haben die Probe aufs Exempel gemacht: In einer Vitrine steht lebensgroß ihr Steinzeitkandidat im Maßanzug. Aus der Rocktasche ragt maliziöserweise jene Zeitung, hinter der angeblich immer ein kluger Kopf steckt. Wenn der Herr jetzt in den nächsten Ausstellungsraum tappen könnte, käme er vielleicht gerade recht, um seiner Neandertalerin beim Anfeuern zu helfen. Olaf Cless