■ Tip
: Die Ware Geschichte

„Erinnerungsbetrieb Stalingrad“, 23 Uhr, West 3

Das Mahnmal zum Gedenken an die Schlacht von Stalingrad hat die Akustik einer Kirche. Unaufhörlich läuft ein Band mit einem Frauenchor, der wortlos und mit viel Hall die „Träumerei“ von Schubert singt. 50 Jahre nach der Schlacht steht neben den Wachsoldaten am Eingang auch ein deutscher Reporter. Live berichtet er von einem Ort, von dem es nichts mehr zu berichten gibt: Wolgograd im Frühjahr 93. Später wird er zwei Kriegsveteranen, einen von jeder Seite, erzählen lassen – das heißt, er wird Gefühle und schmerzliche Erinnerungen aus ihnen herauspressen.

Den Sinn derartiger Berichterstattung stellt Filmautor Thomas Kufus mit seinem zum Teil erstmals zugänglichen Dokumentarmaterial zu Recht in Frage. Er verdeutlicht, inwiefern im letztjährigen „Erinnerungsbetrieb Stalingrad“ Geschichte zur Ware wurde und in Gesten öffentlich-rechtlichen Gedenkens verschwamm. Neben jener WDR-Aktion gab es ein fünfteiliges ZDF-Pendant, das „Tränen und Blut“, kurz: „die Realität“ zeigen sollte – so Klaus Bresser bei der Ankündigung von „Stalingrad“. Auch hier setzte sich Betroffenheit an die Stelle der Aufarbeitung.

Aber nicht nur das Fernsehen zelebrierte zum Jahrestag von Stalingrad bedenkenloses Gedenken. Kufus zeigt auch Kölns Oberbürgermeister Burger, wie er in der russischen Partnerstadt feierlich die Fotokopie einer Gedenktafel niederlegt, weil die echte nicht fertig geworden ist. Das Erinnern fand wohl doch zu kurzfristig statt. Und er zeigt die Gedenkfeiern vor Ort, eine publikumswirksame Mischung aus Folklore, nationalem Pathos, Militärmusik – und Geschmacklosigkeit: Ein Schnulzensänger tritt vor einer Leinwand auf, die Originalaufnahmen vom Gemetzel bietet.

„Der Verlust der Geschichte im Gedenken“, so der Untertitel, findet offenbar nicht unbewußt statt. Auf die Frage des WDR-Reporters, warum, neben dem Gefeiere und Gerede, ein Aussöhnungsbesuch Kohls in Wolgograd ausblieb, antwortete der deutsche Botschafter nur: „Ich will, daß Sie das rausschneiden. Machen Sie's aus!“Oliver Rahayel