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Möllemanns „Befreiungsschlag“

Nordrhein-Westfalens FDP-Landesvorsitzender Möllemann legt 39seitiges Modernisierungspapier vor / Keine definitive Koalitionsaussage / Umfragen sehen CDU bei unter 30 Prozent  ■ Aus Düsseldorf W. Jakobs

Jürgen Möllemann mischt wieder mit. Diesmal geht es nicht um die Wettbewerbsverbesserung für die Einkaufswagenchips seines Schwagers, die der PR-bewußte Landeschef der NRW-FDP einst per Ministerbrief zu fördern wußte. Jetzt hat der über die „Briefaffäre“ gestolperte Ex-Wirtschaftsminister gleich die ganze Nation im Blick. Möllemann will alles aufmischen. Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft.

Neu sind die meisten Vorschläge indes nicht. Tatsächlich findet sich in dem 39seitigen „Modernisierungspapier“, das Möllemann gestern zusammen mit dem FDP- Fraktionschef Achim Rohde vorstellte, alles, was die Deregulierungs- und Privatisierungsdebatte der letzten Jahre zu bieten hatte. Möllemann reichert das Menü nur noch mit ein paar scharfen Gewürzen an. So schlägt er zur Verschlankung des staatlichen Apparates nicht nur die Reduzierung der Bonner Ministerien von 18 auf zwölf vor, sondern auch die Zusammenlegung der Bundesländer von 16 auf sieben. Künftig sollen Niedersachsen/Bremen/Hamburg Schleswig-Holstein/Mecklenburg- Vorpommern ebenso zu einem Land verschmelzen, wie Sachsen/ Sachsen-Anhalt und Thüringen. Eine radikale Schrumpfkur, ein Umbau des Steuersystems und eine gezielte Wissenschaftsförderung erachtet Möllemann als vordringlich, um den Staat in die Lage zu versetzen, den „neuen Aufbruch“ als „Impulsgeber“ anzustoßen. Möllemann wörtlich: „Wir suchen das Bündnis mit den Erneuerern und Reformern in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft.“

Vor allem werden neue Wähler gesucht – und zwar massenweise. So düster wie im Augenblick sah es für die Bonner Koalition nie zuvor aus. Der FDP-Landesvorstand hatte am Montag abend einen Experten aus dem Bonner Bundespresseamt um eine schonungslose Analyse des Meinungsklimas gebeten — und die offenbarte eine desaströse Situation. Insgesamt dokumentieren alle Befragungen der letzten Zeit nach den Worten Möllemanns „einen Absturz der Union auf unter 30 Prozent“. Von zwölf Prozent im letzten Jahr sei die FDP auf inzwischen sechs Prozent eingebrochen. Das jetzt vorgelegte und lange als „Befreiungsschlag“ angekündigte Strategiepapier soll angesichts dieser Daten einen Schub zur Profilierung der FDP im Mammutwahljahr bringen. Von Koalitionsfestlegungen hält der Kinkel-Konkurrent zum jetzigen Zeitpunkt gar nichts. Er will sich alle Türen offenhalten. Selbst eine Ampelkoalition mochte er nicht rundweg ausschließen. Für Bonn sei das zwar „keine tolle Veranstaltung“ und die Neigung für eine solche Koalition konvergiere innerhalb der FDP „gegen Null“, aber ein kompromißloses Nein kam ihm auch nicht über die Lippen.

Scharf ging Möllemann gestern Bundesfinanzminister Theo Waigel an. Der habe die Bundesfinanzen „nicht mehr unter Kontrolle“. Deshalb müsse die Bonner Koalition „noch bis zum Sommer ein Haushaltssicherungsgesetz“ verabschieben, um die Handlungsfähigkeit „zu beweisen“. Durch Sparen und Umschichtungen müßten jetzt finanzielle „Spielräume für die Zukunft eröffnet werden“. Die Bonner Koalition müsse nun zeigen „daß es noch geht“. Wenn „das nicht geschieht“, so Möllemann zur Koalitionsfrage wörtlich „ist das auch eine Botschaft“.

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