: Im Reich des Königs Frust
Vom politischen Aufbruch vergangener Jahre ist in Kamerun heute nicht mehr viel übrig. Der Kampf ums Überleben überschattet den um Demokratie ■ Aus Jaunde Thomas Mösch
Das war die schlimmste Zeit meines Lebens. Was hat es noch für einen Sinn, in diesem Land zu leben? Am besten, es hätte mich gleich richtig erwischt.“ Martin Ndjeng (Name geändert) hatte vor ein paar Monaten einen Autounfall. Er saß als Fahrgast in einem Taxi. Mitten im Zentrum von Kameruns Hauptstadt Jaunde rammte ein Lkw das Auto an der Beifahrerseite. Der 33jährige Lehrer wurde schwer verletzt, er verlor einen Liter Blut. Noch heute ist seine rechte Gesichtshälfte geschwollen.
Mit der schlimmen Zeit meint Martin Ndjeng jedoch nicht den Unfall selbst. Erst das Krankenhaus sei für ihn der Horror gewesen, erzählt er. Ndjeng lag insgesamt zwei Wochen im Zentralkrankenhaus von Jaunde. „Die Zustände dort sind katastrophal“, berichtet er. „Nur weil jemand nicht die 1.500 Francs für Medikamente hat, muß er sterben. Daß es so schlimm um dieses Land steht, hätte ich nicht gedacht.“ 1.500 afrikanische CFA-Francs – das waren damals noch 10 Mark. Heute, nach der fünfzigprozentigen Abwertung dieser Währung von 15 afrikanischen Staaten, würden die gleichen – importierten – Medikamente das Doppelte kosten.
Ndjeng holt einen dicken Ordner hervor. „Das hier sind meine Arzneimittelrechnungen. Ich hatte Glück, denn Freunde haben mir mit Geld geholfen.“ Und sein Arbeitgeber, eine katholische Schule, wo Ndjeng Geschichte unterrichtet, hat ihm etwas vorgestreckt. Von den 80.000 CFA-Francs, die er monatlich als Gehalt bekommt, kann er keine Rücklagen bilden. Und während der zwei Monate, die Ndjeng nach seinem Unfall krank geschrieben war, hat er gar kein Geld bekommen. Ndjeng hofft nun, daß er seine Auslagen von der Versicherung des Lkw- Fahrers zurückerhält. Einen Anwalt hat er schon eingeschaltet.
Sicher ist das Einkommen eines Lehrers in Kamerun ohnehin nicht. Eine Privatschule wie die, wo Ndjeng arbeitet, lebt zu einem großen Teil von staatlichen Zuschüssen und dem Schulgeld der Eltern. Der Staat zahlt schon seit langem immer spärlicher. Und die Eltern der Schüler sind oft selbst Staatsangestellte. Deren Gehälter wurden in den letzten zwei Jahren bereits dreimal gekürzt, zuletzt im November um bis zu 50 Prozent.
Kamerun ist pleite. Die Regierung von Präsident Paul Biya kann nicht einmal die gekürzten Gehälter der Staatsbediensteten regelmäßig zahlen. Den meisten von ihnen schuldet sie mehrere Monatslöhne, manche haben schon seit ein oder zwei Jahren kein Geld mehr gesehen. An mehreren staatlichen Institutionen in Jaunde hängen seit Monaten Protestplakate: „Gebt uns unser Geld!“ Vor den Zahlstellen des Finanzamtes bilden sich jeden Morgen lange Schlangen. Aber viele der Wartenden kommen vergebens. Auch Ndjengs Schule mußte die Gehälter kürzen. Die meisten Familien können sich den Schulbesuch ihrer Kinder einfach nicht mehr leisten.
Wie Martin Ndjeng verstehen viele Kameruner die Welt nicht mehr. Noch vor wenigen Jahren gehörte ihr Land zur afrikanischen „Mittelklasse“. Erdöl, Kaffee, Kakao und Holz sicherten einen bescheidenen Wohlstand und den Reichtum der Oberschicht. Nun sind die Rohstoffe kaum noch etwas wert. Der andauernde Kampf um die Demokratie hat die Wirtschaft des Landes weiter geschwächt. Präsident Biya, der sich 1992 bei Wahlen nur mit Tricksereien an der Macht halten konnte, genießt mittlerweile nicht mal mehr das Vertrauen der Beti, seiner eigenen ethnischen Gruppe.
Für besonders gefährlich hält Biya – nicht zu Unrecht – die Studenten. An der Universität von Jaunde waren die Proteste gegen sein Regime 1991 am heftigsten. Seitdem ließ der Präsident die Studentenführer systematisch verfolgen. Wer vor Gefängnis und Folter ins Ausland fliehen konnte, hatte noch Glück. Die Universität selbst ähnelt heute mehr einem Gefängnis als einer Lehranstalt: Wo der offene und großzügig angelegte Campus früher frei zugänglich war, versperrt eine zwei Meter hohe Mauer den Weg. Die wenigen Einfahrten lassen sich durch Stahltore verschließen. „Das ist unsere Schandmauer“, erklärt Ndjeng.
Er selbst würde gern endlich einen Magisterabschluß machen, nachdem er letztes Jahr die 50.000 CFA-Francs auftreiben konnte, um sich wieder als Student einzuschreiben – ein Eintrittsgeld, das sich immer weniger Kameruner leisten können. Doch der Lehrbetrieb läuft nur stockend. Viele Professoren haben das Land verlassen, um in Nordamerika oder Europa lukrativere Posten anzutreten. Die Zurückgebliebenen können sich oft nur mit Nebenjobs über Wasser halten. Streiks legen den Uni-Betrieb immer wieder lahm. Auch Ndjeng ist noch nicht zum Studieren gekommen. „Da läuft nichts“, konstatiert er frustriert.
Viele Jugendliche haben sowieso keine Zeit für Schule oder Uni. Wie in anderen afrikanischen Großstädten ist das typische Bild der beiden kamerunischen Metropolen Jaunde und Duala das von jungen Straßenverkäufern, die an Kreuzungen im stockenden Autoverkehr allerlei Waren anbieten. Ihre Zahl hat in jüngster Zeit überall stark zugenommen. Der Wirtschaftssektor, der seit zwei Jahren am meisten expandiert, ist der Handel mit gebrauchten Kleidern. Meist stammen sie aus Altkleidersammlungen in Nordamerika und Europa. Bürgersteige und Märkte der kamerunischen Städte sind voll mit dieser Secondhand-Ware. Ein etwa 15jähriger, der gekühltes Wasser anbietet, blickt mich wütend an, als ich ihm nichts abkaufe. „Glaubst du, ich mache das hier zum Spaß? Ich würde viel lieber zur Schule gehen, aber heutzutage müssen wir auf der Straße Wasser verkaufen, um überleben zu können!“
Vielen hilft da nur noch die sprichwörtliche „afrikanische Solidarität“. Auch der Lehrer Ndjeng weiß sie zu schätzen. Schon oft haben ihm Freunde oder Verwandte aus einer finanziellen Klemme geholfen. „Wenn ich Geld habe, gebe ich Freunden, die gerade knapp sind, ja auch etwas. Auf dem Lande trifft es die Leute noch schlimmer. Die haben zwar ihre selbstangebauten Lebensmittel, aber für Medikamente und andere wichtige Dinge ist nun gar kein Geld mehr da. In der Stadt kann man immer noch ein paar Francs auftreiben“ – oder einsparen, zum Beispiel, indem man gewisse Dienstleistungen einfach nicht mehr bezahlt. „In meinem Viertel bezahlt kaum noch jemand Strom und Wasser“, sagt Ndjeng. Abgestellt wird es trotzdem nicht. Vielleicht traut sich die Regierung nicht, weil sie den Unmut im Volk nicht noch weiter schüren will.
Oder die Beamten haben einfach keine Lust zu kontrollieren. Ohne zusätzliches Geld rühren nur noch wenige Staatsdiener einen Finger. Und wie die Bürokratie zerfällt auch die Infrastruktur zusehends. Mitten in einem Wohnviertel zeigt Ndjeng auf einen riesigen Müllhaufen, der allmählich eine Straßenkreuzung unter sich begräbt. „Der wird immer mehr zu einer Gefahr für den Verkehr, aber die Regierung tut nichts“, klagt er. Wie zur Bestätigung rammt in diesem Moment ein Omnibus einen Pkw, als beide versuchen, den stinkenden Hügel zu umkurven. Autofahrer haben es in Jaunde und Duala auch sonst nicht leicht. Früher waren Schlaglöcher auf den Hauptstraßen eine Seltenheit, heute muß man Slalom fahren. „In den einfachen Wohnvierteln kümmert sich die Regierung um nichts mehr“, berichtet Ndjeng und blickt genervt auf Autos und Busse, die sich an einem der belebtesten Märkte der Stadt im Schrittempo durch die ausgefahrenen Schlammlöcher quälen.
Mit Verbitterung spricht Ndjeng auch vom neuen Flughafen der Hauptstadt – einer von mittlerweile drei internationalen in dem 12-Millionen-Einwohner- Land. Er wurde vor drei Jahren von einem Firmenkonsortium unter deutscher Führung gebaut. Überall glänzt und blitzt es. Doch schon jetzt funktioniert die automatische Anzeigentafel nicht mehr. Es gibt auch kaum etwas anzuzeigen. Selbst die eigene Luftlinie Cameroon Airlines fliegt lieber von Duala aus in die weite Welt. Ausländische Gesellschaften machen es genauso, wenn sie das Land nicht gleich ganz verlassen, wie die Lufthansa. „Dabei wurde das geschmähte Objekt zu 80 Prozent über Hermes-Bürgschaften der Bundesregierung finanziert“, bemerkt dazu ein Mitarbeiter der deutschen Botschaft.
Inzwischen ist die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wegen der undemokratischen Verhältnisse in Kamerun ausgesetzt. Das bekam auch Martin Ndjeng zu spüren: Er wollte sich in Deutschland als Museumskonservator ausbilden lassen. Nach jahrelangem Bemühen sagte ihm endlich die Carl-Duisberg-Gesellschaft ein Stipendium zu, nur um kurz darauf einen Rückzieher zu machen. Offizielle Begründung: die politische Situation.
Kamerun ist out. Die staatliche US-Hilfsorganisation USAID hat ihre Zelte abgebrochen. Von einst zwanzigtausend Franzosen im Land sollen nur noch achttausend dasein. In den Straßen Jaundes sieht man kaum noch ein weißes Gesicht. Das Café „Cintra“ oder das „Porter 39“, früher Treffpunkte der expatriés, der im Lande arbeitenden Ausländer, sind nur noch spärlich besucht. Selbst in die Chantier oder Circuit genannten Wohnzimmer-Restaurants verliert sich kaum noch ein Gast. In dieser für die Kameruner Eßkultur so wichtigen Einrichtung sitzt man in einem ganz normalen Wohnzimmer in wuchtigen Plüschsesseln. Während das Huhn oder der Fisch gegrillt werden, fließt reichlich Bier, und man plaudert oder macht Geschäfte. Nun sind die Chantiers leer – deutliches Zeugnis für die Krise des Landes.
In Kamerun herrscht der große Frust. Ndjeng: „Die Leute sind es einfach leid, aber sie wissen nicht, wie sie es ändern sollen.“ Der Oppositionsführer und wahrscheinlich wirkliche Sieger der Präsidentenwahl von 1992, John Fru Ndi von der Sozialdemokratischen Front, ist immer noch Hoffnungsträger. Doch er ist kaltgestellt. Zwar steht er nicht mehr unter Hausarrest. Wenn er aber seine Heimatstadt Bamenda, fünf Autostunden von Jaunde entfernt, verläßt, um in die Hauptstadt zu kommen, muß er um sein Leben fürchten. Die Regierung wäre ihn nur zu gerne los.
So wirkt denn die Opposition kopflos. Einerseits kämpfen viele immer noch gegen den Präsidenten für ein demokratisches Kamerun. Doch oft ist einfach die schiere Not die Antriebskraft, etwa hinter den häufigen Streiks, die seit der Gehälterkürzung im November Duala und die westlichen Landesteile lähmen. Dazu versuchen einige Gruppen, ihr ganz eigenes Süppchen auf der allgemeinen Wut zu kochen. So wächst in den englischsprachigen Provinzen des Westens der Ruf nach Autonomie und Unabhängigkeit. Einige anglophone Zeitungen rufen dabei recht unverhohlen zum Bürgerkrieg auf.
Die Masse der Kameruner scheint auf den politischen und wirtschaftlichen Stillstand mit Apathie zu antworten. Nichts ist mehr zu spüren vom politischen Aufbruch, der das Land vor drei Jahren erfaßt hatte. Damals diskutierten alle mit großem Engagement die Entwicklung des zusammenbrechenden Systems. Heute winken die meisten nur noch müde ab, wenn man sie auf Politik anspricht.
„Irgendwann wird das alles explodieren“, prophezeit Martin Ndjeng. Von dem kleinen Zweizimmerhaus, das er gemietet hat, kann er auf dem Hügel gegenüber ein neues Villenviertel sehen. „Beverly Hills“ nennen es Ndjeng und die Leute seines Viertels. Und ein Nachbar droht: „Eines Tages werden die da drüben brennen, und wir werden dabeisein.“
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