Nachruf
: Schön doppeldeutig

■ Zum Tod des Schriftstellers Erwin Strittmatter

Was waren das für Zeiten, als sich die Gemüter noch ernsthaft und ausdauernd darüber erregen konnten, ob der positive Held eines sozialistischen Romans am Ende elend sterben dürfe – auf dem „richtigen Weg“, aber unbeirrbar eigensinnig, mit einem untrüglichen Gespür für „Zukunft“ und doch von seiner Gesellschaft im Stich gelassen? Das war die hohe Zeit des DDR-Schriftstellers Erwin Strittmatter, und um seinen 1963 erschienenen Roman „Ole Bienkopp“ ging es in dieser Debatte. Allzu kraß hatte Strittmatter nach Ansicht vieler die Hindernisse beschrieben, mit denen zu kämpfen hatte, wer in die Tat umsetzen wollte, was „die Partei“ angeblich doch zu allererst anstrebte: das sogenannte „Neue im Leben“. Kritik dieser Art traf Strittmatter dabei nicht zum ersten Mal. Der Vorwurf der Überzeichnung, allzu drastischer Sprache und fürs prüde Funktionärsgemüt geradezu obszöner Darstellungen hatte bereits den Abbruch der Fortsetzungen seines ersten Romans „Ochsenkutscher“ in der Märkischen Volksstimme erzwungen, bei der Strittmatter Anfang der Fünfziger als Lokalredakteur wirkte. „Zu wahrheitsgetreu“, monierte allen Ernstes die (vermutlich bestellte) Leserpost, und die Literaturkritik bemängelte nach Erscheinen des Buches dessen „harte Schreibweise“, was soviel hieß wie „Pessimismus“ und gemeinhin das literarische Todesurteil bedeutete. Flugs wurde also ein Nachfolgeband gefordert, in dem der sonderliche Romanheld endlich zu sozialistischer Einsicht gelangen sollte.

Nicht anders erging es Erwin Strittmatter mit seinem Kinderbuch „Tinko“ und dem ersten Band seiner Roman-Trilogie „Der Wundertäter“, die er erst 1980 zu Ende bringen konnte. Immer wieder wurde nach Fortsetzungen gerufen, um endlich die wahre Güte des fabelhaften Neuen doch noch zum Durchbruch gelangen Foto: Peter Peitsch

zu sehen und den vertrackten Strittmatterschen Eigensinn zugunsten parteilichen Einverständnisses wenigstens zu relativieren.

Nach den auch die Person des Autors attackierenden Debatten um „Ole Bienkopp“ hatte Strittmatter dann offenkundig endgültig genug von dieserart Literaturbetrieb. Zurückgezogen auf seinen „Schulzenhof“, wo er auch LPG-Mitglied und Ponyzüchter war, vertiefte sich Strittmatter in kleine Notizen, Beobachtungen und Skizzen seiner zentralen Themen: Natur, Landleben, das Dasein des Schriftstellers. Die Form der daraus entstehenden (und veröffentlichten) „Kleingeschichten“ behielt er bei, auch als er die „Wundertäter“-Trilogie fort- und fertigschrieb und das ebenfalls dreibändige autobiographische Erinnerungswerk „Der Laden“ begann.

Was für ein schöner Held des Widerstands nach westlichem Gusto hätte doch dieser Querkopf Strittmatter werden können, der da auf der ländlichen Abseite zäh an seiner Sache schrieb und je länger, desto unverhohlener sein „Ich“ und dessen mal mehr, mal weniger private historische Erfahrung ins Zentrum stellte. Der Autor des legendären Theaterstücks „Katzgraben“, das sich die FDJ für die Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1951 bestellt, dann aber doch nicht gewollt hatte (wegen der notorischen „ideologischen Unklarheiten“ vermutlich) – das der Theaterleiter Bertolt Brecht, der für sein Berliner Ensemble so dringend ein Gegenwartsstück benötigte, mit dem Autor in shakespearsche Jamben setzte und drei Wochen vor dem 17. Juni 1953 dort zur Aufführung gelangen ließ.

Strittmatter, einst nach Brechts Worten „nicht aus, sondern mit dem Proletariat aufgestiegen“, schließlich als „innerer Emigrant“ der DDR? Weit gefehlt. „Ohne die Deutsche Demokratische Republik wäre ich nicht, was ich bin, wüßte ich nicht, was ich weiß, könnte ich meine künftigen Bücher nicht schreiben“, gab der Autor auch noch nach allen Attacken zu Protokoll, nahm hohe Funktionen im Schriftstellerverband wahr und empfing höchste Preise.

„Eigensinn ohne Eigennutz“, sagt ein Weggefährte des Ole Bienkopp nach dessen Hinsterben in einer Mergelgrube, in der der groteske Held ein Potential für sein Dorf vermutete, „dafür gibt's noch kein Wort.“ Die Figur aber gibt es. Strittmatter hat sie nicht nur in vielen Variationen beschrieben, er hat sie auch selbst verkörpert.

Das muß man gar nicht mögen: dies Deftige, ins möglichst Saftige und auch hemmungslos Plakative ebenso wie ins stilisierte „Ich“ Verliebte und mit literarischen Mitteln also kaum Zimperliche. Wer aber in seiner Wahrnehmung noch Platz haben sollte für Irritationen seines Blicks auf die (vermeintlich nur stromlinienförmige) DDR-Literatur, der sollte hier endlich zu lesen beginnen: im „Wundertäter“, im „Ole Bienkopp“, im „Laden“. Fremde Welten, gesehen und beschrieben von Erwin Strittmatter, der nun, fast 82 Jahre alt, gestorben ist. Die letzten Worte nach etwa 1.500 Seiten „Laden“ lauten zutreffend: „so schön doppeldeutig“. Frauke Meyer-Gosau